Wer manipuliert die Aktienkurse?

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo, Leute! Ich hab mal nachgerechnet: Es ist knapp 30 Jahre her, als mir mein neuer Nachbar Gregory am Ende einer intensiven Party nicht mehr nüchtern, aber dennoch ernsthaft die Frage stellte, wie es sein könne, dass sein Arbeitgeber Siemens an der Börse morgens ein paar Milliarden mehr wert sei als abends: „Das nennt ihr Börse? Kannst Du mir solche Veränderungen innerhalb von Stunden erklären?“ Gregory, ein hochintelligenter Brite (studierter Physiker), der jetzt in Ami-Land lebt, hat die Marktmechanismen nie verstanden. Aber: Wer kapiert, nein, wer weiß denn wirklich, was heutzutage an und rund um die Märkte so abgeht?

Glaubt mir, Freunde, ich habe in meinem Urlaubsbau seit dem Wochenende haufenweise Analysen (besser: Versuche von Analysen), Kommentare und Vorhersagen verschlungen - und keinen, nicht einen einzigen Bericht gefunden, der die dramatischen Geschehnisse zwischen Schanghai und New York überzeugend interpretiert. Alle beziehen sich auf China, sehen deshalb die Gefahr einer Weltrezession - keiner gibt den Ängsten wegen der näher rückenden US-Zinswende besondere Bedeutung. Das Verrückte ist: Namhafte Banken, Fondsmanager und sonstige Strategen schreiben spätestens seit gestern fast ausnahmslos das gleiche: Entwicklung in China eigentlich nachvollziehbar, jedenfalls kein globales Konjunkturdrama, USA, Europa und Japan werden Weltwirtschaft weiter stützen, Aktien keinesfalls überbewertet - der „Crash“ (wenn er denn einer war) war also übertrieben. Ja, bitte sehr, wenn Ihr Finanzoberexperten das alle so seht, wer hat dann massiv verkauft und warum?

Der erste Anruf eines börsenaffinen Bekannten am Montagabend hätte von Gregory sein können: „Kannst Du mir das erklären, was sich hier abspielt? Werden nach Eurozinsen und Gold inzwischen auch schon die Aktienkurse manipuliert?“ Ich habe ausweichend geantwortet.

Zitierfähig ist auf jeden Fall, was die international renommierte Investment-Analysegesellschaft Morningstar als neutrale Stimme geschrieben hat: „Es gibt keinen rationalen Grund dafür, dass der Dax im Verlauf des heutigen Tages (Montag) zeitweilig um gut 7 (!) Prozent eingebrochen ist. (Zum Schluss lag das Minus immerhin noch bei 4,7 Prozent.) Rund um den Globus sind die Aktienkurse in den vergangenen Tagen in die Knie gegangen. Auch wenn einiges dafür spricht, dass wir uns noch nicht am Ende der Korrektur befinden, haben sich dramatische Kursstürze im Nachhinein oft als Kaufgelegenheit erwiesen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Anlagehorizont lang und das Stehvermögen groß ist!“ Jo, so sehe ich das auch. Nur: Das Wort „lang“ ist im klassischen Sinn zu verstehen, also über mehrere Jahre und nicht wie heute nur für ein paar Monate. Der höchste Tagesverlust beim Dax lag übrigens bei 8,5% am 11. September 2001. Am Tag des Terrors in den USA fiel er auf 4.274 Punkte.

Was mich ärgert, ist der erhobene Zeigefinger einiger Experten und Journalisten, die den Anlegern wieder mal verklickern wollen, dass Stop-Loss-Orders wenig Sinn machen, wie gerade die Turbulenzen vom Wochenbeginn gezeigt hätten. Denn bei hoher Volatilität würden ja viele Anleger durch die Stop-Orders rausfliegen, obwohl sich kurz darauf herausstellt, dass es ein Fehlsignal war und die Kurse wieder ansteigen. „Na und?“ möchte ich laut ausrufen. Die Absicherung eines Aktienbestands durch Stops (am besten Trailing-Stop-Orders) hat doch nur ein Ziel: die konsequente Begrenzung des Verlustrisikos. Und wer es immer noch nicht gerafft haben sollte: Verlustbegrenzung ist der erste Schritt zum Vermögensaufbau!

Nee, nee, das sind bekloppte Märkte, die wir vermutlich erst später einmal besser verstehen werden. Wie da die Argumente für den bombenfesten Euro, das sauschwache Rohöl und die Baisse anderer Rohstoffe durcheinandergeschmissen werden. Tagesschwankungen, hinter man tatsächlich Manipulationen oder zumindest besoffene Anlagestrategen vermuten könnte, gestern dann Erholung des Dax um glatte 5 Prozent auf mehr als 10.100 Punkte, heute früh dann wieder Absturz, kurz darauf Wiederanstieg … Nochmal klar und deutlich: Wer jetzt Anlagekapital hat und es mindestens für fünf Jahre investieren möchte, der sollte Aktien kaufen - was denn sonst?

Ach ja, unseren China-Experten wollte ich das Gedächtnis auffrischen, denn mir geht das Konjunktur-Katastrophen-Szenario auf den Geist („niedrigstes Wachstum seit … usw.“). Die mit Verspätung hierzulande registrierte Marke von 7 Prozent ist doch absolut nix Neues, man muss sich bloß mit den offiziellen Plänen der Pekinger Staatskapitalisten beschäftigen. Dazu ein Zitat aus einer wirklich guten Analyse in einer deutschen Tageszeitung: Mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan (2011 bis 2015) will China sein rasantes, zweistelliges wirtschaftliches Wachstum in den nächsten fünf Jahren auf nur noch 7 Prozent jährlich drosseln. Auf diese Weise will China auch weniger Rohstoffe verbrauchen. Der Energieverbrauch für jeden erwirtschafteten Yuan soll bis 2015 um 16 Prozent gesenkt werden.

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