Wie niedrig sind die Zinsen wirklich?
Der Vorwurf ist bekannt: Die EZB enteignet mit ihrer Geldpolitik die Sparer. Historisch betrachtet gab es jedoch schon weitaus schlimmere Zeiten.
An die anhaltende Kritik an der Niedrigzinspolitik der EZB haben wir uns bereits seit Jahren gewöhnt. Dabei wird vor allem vorgebracht, dass mit der kontinuierlich expansiven Geldpolitik, die gerade wieder bestätigt wurde, insbesondere Privatanleger um ihre Ersparnisse gebracht werden. Beispielsweise titelte die Bild-Zeitung am vergangenen Freitag im Hinblick auf die jüngste EZB-Ratssitzung „Wir Sparer sind mal wieder die Dummen!“ auf Seite 1 in ihrer Ausgabe.
Insgesamt scheint weitgehender Konsens darin zu bestehen, dass Anleger mehr denn je unter niedrigen Zinsen leiden. Was jedoch, wenn die heutige Verzinsung tatsächlich um einiges höher ausfällt als vor beispielsweise 20 oder 30 Jahren?
Dabei muss beachtet werden, dass nicht die nominale Verzinsung das ausschlaggebende Kriterium ist. Es ist die Verzinsung nach Inflation und Steuern, die sich auf unser tatsächliches Leben auswirkt und indiziert, ob wir uns morgen mit unserer Investition mehr leisten können als heute. Kurzum: Nicht die Nominal-, sondern die Realverzinsung ist das entscheidende Kriterium, wenn es um die Betrachtung der Verzinsung von Geldanlagen geht.
Und gerade bei Betrachtung dieses realen Zinssatzes fällt der Befund heutzutage überraschend anders aus als erwartet. So lag beispielsweise nach Angaben der Deutschen Bundesbank der durchschnittliche Zinssatz für Spareinlagen im Jahre 1980 bei 4,6%. Gleichzeitig betrug die Inflationsrate 5,4%. Das macht eine reale Verzinsung von -0,8%. 2015 betrug der durchschnittliche Zinssatz für Spareinlagen zwar nur 0,5%. Die Inflationsrate war mit 0,3% aber auch entsprechend niedriger, so dass die reale Verzinsung der Spareinlagen 2015 besser als noch vor 35 Jahren war.
Dabei ist bislang noch nicht die steuerliche Belastung für Zinseinkünfte berücksichtigt, welche die für den Sparer unangenehme Eigenschaft hat, dass sie sich auf den nominalen Zins bezieht. Zwar gab es im Steuerrecht für Kapitaleinkünfte in der Vergangenheit deutliche Änderungen, zur Demonstration des Punktes sei jedoch vereinfachend ein Steuersatz von 30% für den gesamten Zeitraum angenommen.
30% kommen dem heute in der Abgeltungsteuer tatsächlich anzuwendenden Satz relativ nahe, wenn man den Solidaritätszuschlag und eventuelle Kirchensteuern hinzuzählt. Da in den Zeiten vor der Abgeltungsteuer die tarifliche Einkommensteuer für Zinserträge mit Spitzensätzen von bis zu 56% angewandt wurde, unterschätzt der unterstellte Satz für frühe Phasen des Beobachtungszeitraums eher die tatsächliche Last, jedenfalls für wohlhabende Sparer.[1]
Gehen wir also von den 30% abzuführenden Steuern auf die vereinnahmten Zinsen aus, ergab sich 1980 eine netto Verzinsung der Einlagen von 4,6%*(1-0,3), somit ca. 3,2%. Unter Berücksichtigung der Inflation landete man Ende bei einer ziemlich grausamen realen Verzinsung von -2,2%, also einem realen Kaufkraftverlust. Und heute?
1 minus 30% von Fast-Null ist immer noch Fast-Null, so dass der nominale Zins nach Steuern (0,35%) für 2015 nicht sonderlich verschieden war von dem vor Steuern (0,5%). So blieb 2015 nach Abzug der Inflation sogar ein Mini-Plus bei der realen Verzinsung von 0,05%. Die kontroverse Entwicklung der Nominal- und Realverzinsung lässt sich anhand folgender Grafiken erkennen. Sie zeigt, dass bei sinkendem Nominalzinsniveau die realen Zinsen nach Steuern seit 1975 tendenziell eher gestiegen sind.
Die These, dass Privatanleger heute um ihre Ersparnisse gebracht werden, lässt sich folglich nicht aufrechterhalten, jedenfalls dann nicht, wenn man vom relevanten Bewertungskriterium ausgeht. Historisch betrachtet liegen weitaus schlimmere Zeiten hinter den Sparern, z.B. in den 1970er Jahren, Anfang der 1990erJahre sowie in den frühen 2000er Jahren.
Befinden wir uns heute also in paradiesischen Zinszeiten? Bevor man sich als Anleger über diese Frage zu viele Gedanken macht, sollte man sich eine andere wichtige Erkenntnis zu Gemüte führen, die ebenfalls aus der Grafik hervorgeht. Wie besagte Abbildung erkennen lässt, sind negative Realzinsen auf Spareinlagen eher die Regel als die Ausnahme.
Wer sein Geld demnach absolut sicher anlegt (zumindest nominal), sollte langfristig mit keiner positiven realen Verzinsung rechnen. Vielmehr muss er sich darauf beschränken, maximal eine reale Nullverzinsung, also den Erhalt seiner Kaufkraft sicherzustellen. Alle die mehr erwarten möchten, müssen darüber nachdenken, zumindest einen Teil ihres Vermögens in alternative risikobehaftete Anlageformen wie Aktien zu investieren.
Quellen für Grafik: Eigene Darstellung (Daten: Statistisches Bundesamt sowie Deutsche Bundesbank). Angenommener Steuersatz von 30% auf alle Zinseinkünfte.
[1] Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Sparerfreibetrag bzw. Sparer-Pauschbetrag heutzutage ebenfalls höher ist als noch in den 1980er Jahren.