Wieviel Frühlingsgefühle lässt die Politik an Europas Finanzmärkten zu?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

In Europa und an seinen Finanzmärkten könnte doch alles so schön sein: Eine epochale Konjunkturkrise in China scheint auszubleiben und die höheren Rohstoffpreise haben die weltkonjunkturelle Kaufkraft der Rohstoffländer stabilisiert. Auch die anstehende Berichtsaison für das I. Quartal wird kein Ungemach bringen, weil die Erwartungen im Vorfeld von den Unternehmen und Analysten bereits deutlich reduziert wurden und insofern positive Gewinnüberraschungen zeigen werden. Selbst der erstarkte Euro produziert keine große Ernüchterung. Denn eurozonale Unternehmen haben - vor allem die deutschen - schon mit viel höheren Euro-Notierungen gut leben können. Nicht zuletzt sorgt die Rekordausschüttung der DAX-Unternehmen von annähernden 31 Mrd. Euro für Sexappeal, da viele Anleger dieses Geld erneut im Aktienmarkt anlegen. Also nicht nur für die Karnickel auf Flur und Heide, sondern auch bei den Aktienmärkten müssten sich doch eigentlich warme Frühlingsgefühle einstellen, oder?

Kritik der Bevölkerung an Europa ist politisch nicht gewünscht


Wie bei Radio Eriwan müsste man jetzt antworten: Im Prinzip ja, aber dem stehen die wenig milden politischen Außentemperaturen im Wege. Darauf reagieren auch die EU-Bürger immer kühler. So haben sich die Holländer in einem Referendum gegen ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine ausgesprochen. Damit haben die Holländer sicher nicht gegen die Europäisierung der Ukraine gestimmt. Es war eher eine Protestwahl gegen die EU an sich. Die Reaktion der offiziellen EU-Politik darauf ist fatal. Sie verweist darauf, dass das Votum rechtlich nicht bindend sei und überhaupt wären nur 32 Prozent der Wähler zur Urne gegangen. Ich bin mir sicher, dass auch bei 100 Prozent Beteiligung kein anderes Ergebnis herausgekommen wäre. Die geringe Wahlbeteiligung zeigt, dass vielen Holländern das Thema Europa mittlerweile ähnlich egal ist, wie ob das Frühstücksbrot mit Gouda oder Edamer belegt ist. Einige prominente Politiker fordern jetzt sogar, man solle Referenden zu Europa abschaffen. 

Es kann wohl nicht sein, was nicht sein darf. Man kann das Gemeinschaftswerk der EU mit einer privaten Beziehung vergleichen. Ist eine Beziehung denn schon deshalb gefährdet, nur weil sich die Partner kritisieren? Nein, nur weil man Probleme offen ansprechen kann, ist eine Beziehung gesund. Kritiklosigkeit und Resignation sind der Anfang vom Ende einer Beziehung. Politiker sollten nicht verstimmt über Volkes Stimme sein, sondern sich fragen, warum es dem politischen Europa zunehmend die Gefolgschaft verweigert. Was hat Politik denn falsch gemacht? Zum Beispiel in puncto der früher heiligen Stabilitätskriterien von Maastricht, die alternativlose Voraussetzung für die Schaffung der Stabilitätsunion in Europa waren. Heute ist es politisch längst alternativlos geworden, Stabilitätskriterien zu brechen. Und dieser Stabilitätsrechtsbruch treibt seltsame Blüten, siehe z.B. Griechenland. 

Hinter vorgehaltener Hand weiß jeder Politiker, dass das Land an einem Schuldenschnitt von mindestens 50 Prozent nicht vorbeikommt. Denn die aktuelle Schuldentragfähigkeit von Griechenland ist ähnlich stark ausgeprägt wie die einer Biene, die den ganzen Bienenstock tragen muss. Daher muss ein politisch schmutziger, aber gesichtswahrender Deal zur Schaffung einer künstlichen Schuldentragfähigkeit her: Natürlich wird man keinen klassischen Schuldenschnitt vornehmen, denn in diesem Fall wäre das Geld des deutschen Steuerzahlers futsch. Das ist es zwar ohnehin, aber dann wäre der Vermögensverlust für den Wähler klar dokumentiert. Daher werden die Fälligkeiten so weit in die Zukunft verlagert und ohne Zinszahlungen verlängert, dass man sie zwischenzeitlich vergisst. Macht man es bei Atommüll nicht genauso?

Die Hand, die gibt, ist die erste, die gebissen wird


Und die europäische Geldpolitik? Sie hat ungefähr so viel stabilitätspolitische Substanz wie auf Sand gebaute Häuser. Mario Draghi hat den Kapitalismus in der Eurozone de facto abgeschafft, weil er den Zins abschaffte. Damit wird auch die Altersarmut der Europäer, die mehrheitlich auf Zinspapieren gegründet ist, zur tickenden Zeitbombe. Und das Ende der zinspolitischen Fahnenstange ist noch gar nicht erreicht. Was früher für den Sozialismus galt, gilt heute auch für die Geldpolitik: Den Mario in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf. 

Denn die Deflationstendenzen halten sich hartnäckig und die Konjunktur der Eurozone springt ähnlich schwerfällig an wie ein alter Dieselmotor bei Frost. Und da das aufkaufbare Potenzial an Staatsanleihen immer geringer wird, kauft die EZB auch immer mehr Unternehmensanleihen auf. Man muss sich fragen, wann selbst Mittelstandsanleihen bei unseren Währungshütern als hoffähig gelten. Warum kauft die EZB nicht gleich verrostete Fahrräder und kaputte Kühlschränke auf? 

Vor diesem Hintergrund ist jede Kritik an der EZB grundsätzlich gerechtfertigt. Kommt sie allerdings von Politikern, entbehrt sie oftmals nicht einer unglaublichen Heuchelei. Es ist doch der blanke Hohn, wenn sich die deutsche Politik scheinheilig über die Aufkaufpraxis der EZB beschwert. Ohne die Renditedrückung der EZB auf seine Schuldtitel hätte Deutschland niemals Überschüsse im Bundeshaushalt erzielt. 

Ach wie gern brüstet man sich doch damit. Und nur so kann Deutschland bis 2020 das Maastricht-Stabilitätskriterium einer Verschuldung von 60 Prozent zur Wirtschaftsleistung schaffen. An der wachstumsfreundlichen Reformpolitik der Bundesregierung liegt es sicherlich nicht, denn die gibt es nicht mehr. Beim kleinen Koalitionspartner SPD wird der früher propagierte Begriff Agenda 2010 heute ähnlich vermieden wie Kölsch in Düsseldorf oder Alt in Köln. 

Auch mit Blick auf die anderen reformunbeweglichen und damit investitions-, konsum- und schließlich wachstumsgehemmten Euro-Staaten muss Draghi derjenige bleiben, der die volkswirtschaftlichen Kastanien aus dem Feuer holt. Hinter vorgehaltener Hand ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU sehr dankbar für die helfende Hand der Geldpolitik als Financier, als big spender ihrer Reformfaulheit. Wenn jetzt mit Krokodilstränen die geistig-moralische Wende der Geldpolitik angemahnt wird, ist das scheinheilig. Denn dann würde die schwarze Null im Bundeshaushalt zur Illusion. 

Übrigens dokumentiert die Politik damit ebenso, dass man von Börse so viel Ahnung hat wie die Kuh vom Samba tanzen. Wie würden die an Zinslosigkeit gewöhnten Finanzmärkte wohl reagieren, wenn die EZB angesichts Überschuldung und Blasenbildung an den Rentenmärkten vom Saulus zum Paulus würde? Einen ersten Vorgeschmack lieferte ihre Reaktion auf eine nur leichte Zinserhöhung der Fed im Dezember 2015. Die jetzt so besorgte Politik hätte viel früher und vehementer den Mund aufmachen müssen. 

Europa muss sich endlich entscheiden, ob es Hammer oder Amboss sein will 

Europa funktioniert leider auch nicht in der Terrorabwehr. Für mich ist es höhnisch, wenn Politiker davon sprechen, dass es keine 100 Prozent Sicherheit gegen islamistische Attacken geben kann und es gleichzeitig versäumt, die national vorhandenen Sicherheitsstrukturen grenzüberschreitend und optimal zu vernetzen. So scheitert die europäische Terrorbekämpfung an nationalen Egoismen und Befindlichkeiten mit der Konsequenz, dass mit modernen Waffen ausgestattete, international operierende Terroristen nicht an die Kandare genommen werden.

Und ein Ausbund an Gemeinschaftssinn der EU ist es auch nicht, wenn wegen eigener Überforderung die Grenzsicherung der EU einem fremden Land mit massiven Eigeninteressen überlassen wird. Das muss man solidarisch mit eigenen Bordmitteln schaffen, auch wenn es schwer ist. Wohl und Wehe der Außengrenzen Europas können nicht davon abhängig sein, ob ein Türsteher am Bosporus gut oder schlecht geschlafen hat. Europa und auch Berlin dürfen sich niemals erpressbar machen oder gar vorführen lassen. Und selbstverständlich darf es auch keine Freiheitsgrade hinsichtlich der Freiheit von Presse, Kunst und Satire geben, auch nicht im vorauseilenden Kotau. Satire - selbst wenn sie heftig und derb ausfällt - sollten Demokraten und auch solche, die es vorgeben zu sein - aushalten. 

Denn die Alternative ist nicht aushaltbar: Wenn die EU-Politik der fremden Zensur erst einmal die Tür auch nur einen winzigen Spalt aufmacht, bekommt man sie nicht mehr zu. Satire oder Kunst ist kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern die Verteidigung von Menschenrechten. Was u.a. Helmut Kohl, David Cameron, François Hollande oder Papst Benedikt XVI. ertragen haben oder noch ertragen, sollten auch andere ertragen können. Übrigens, wenn das Opfer Satire ignoriert, verliert der Satiriker schnell die Lust am Objekt der Satire. 

Europas Politiker erledigen ihre Hausaufgaben nur mangelhaft 

Insgesamt hat Europa große Probleme mit der Erfüllung der drei klassischen Aufgaben eines Staats- bzw. staatsähnlichen Wesens: Die Sicherung der (Außen-)Grenzen, die Verpflichtung zur inneren Sicherheit und die Schaffung einer wirtschaftlichen Perspektive für eine möglichst breite Bevölkerung. Und da muss man sich doch nicht wundern, warum die Briten skeptisch gegenüber Europa sind. Bei der Brexit-Frage am 23. Juni 2016 wird es ohnehin eng, weil sich der EU-Befürworter David Cameron vor kurzem als großer Fan von Janoschs Kindergeschichte Oh, wie schön ist Panama outete. Ich kann nur hoffen, dass die Briten - trotz ihrer Küche - bei uns bleiben. Ansonsten wird die politische EU-Krise zur Vertrauenskrise Europas. Ein heißes Argument für Investitionen in der EU ist das sicherlich nicht und früher oder später werden auch die Finanzmärkte frösteln. Statt für Frühlingsgefühle sorgt die Politik eher für Frühjahrsmüdigkeit.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen Hinzufügen

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