Yellen yellt nicht

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr

Hallo Leute! Der Dax hat sich gestern wieder mal voll aufgerichtet, die Amis haben ihn gestützt. Auch andere Märkte erlebten eine zumindest kurzfristige Hochstimmung, die man aber nicht überbewerten sollte. „Brexit“ - was ist das denn? Auf einmal zählten nur die Worte von Janet Yellen. Was hat sie denn jetzt schon wieder gesagt? Und vor allem, was hat sie nicht gesagt?

Fortgeschrittene internationale Anleger haben sich längst daran gewöhnt, bei der Chefin der US-Notenbank ebenso wie beim EZB-Vorsitzenden Mario Draghi auf jedes Wort zu achten und die Formulierungen mit dem zuletzt Gesagten zu vergleichen. Analysten und Händler übertreiben dabei und tun fast bei jeder öffentlichen Äußerung der Währungshüter so, als hätten sie was ganz Dolles für die Sicht der Börsen entdeckt. Es sind halt bekloppte Zeiten. Man kann das gar nicht oft genug unterstreichen. Aber gerade Frau Yellen versteht es in unnachahmlicher Manier, geldpolitisch-perspektivisch konkret zu werden - dabei aber extrem vorsichtig zu bleiben, weil sie heftige Reaktionen der Finanzmärkte verhindern will. Und sie will sich auch nicht festlegen (lassen), macht Andeutungen, steckt Ziele ab und aktualisiert immer wieder die Voraussetzungen. I like it.

Janet Yellen, die als „dovish“ gilt, also zu den „Tauben“ im Entscheidungsprozess gezählt wird, schreit nicht laut heraus, was in ihr vorgeht. Insofern hat sie den falschen Namen. Ihr kennt wahrscheinlich das Wort „Yell“ bzw. als Verb „to yell“: Es bedeutet „gellender Schrei“ bzw. aufschreien, kreischen, brüllen u. ä. Nee, Frau Yellen yellt nicht.

Aktuell hat ihr hoffnungsvoller Blick auf die Konjunktur in Ami-Land die Wall Street und andere Aktienbörsen gestützt. Yellen hatte am Montagabend unter anderem gesagt, der jüngste Arbeitsmarktbericht sei zwar enttäuschend gewesen. Sie gehe aber davon aus, dass die Konjunktur moderat an Fahrt gewinne und sich der Arbeitsmarkt weiter verbessere. Yellen zerstreute damit die Sorge von Analysten etwas, die Fed könnte Zinsanhebungen noch in diesem Jahr einen Riegel vorschieben. Sie skizzierte allerdings im Gegensatz zu früheren Äußerungen kein Zeitfenster für mögliche Zinsanhebungen. Daraufhin begannen die Pofis zu spekulieren, am 15. Juni komme es doch noch nicht zu Erhöhung der Leitzinsen - Jubel bei den Anlegern, man kaufte wieder Aktien. Als nächster Termin wird nun der September gehandelt.

Ich finde das ätzend. Was ist denn wichtiger - Yellens Mutmachung nach den hundsmiserablen Arbeitsmarktdaten oder eine voraussichtliche Verschiebung der nächsten Leitzinserhöhung? Die Börsianer sollten sich doch längst auf eine ganz vorsichtige, schrittweise Anhebung der Zinsen eingestellt haben. Es wird ja auch Zeit, langsam zu normalen Zeiten zurückzukehren. Viel riskanter (und das gilt für die Weltwirtschaft insgesamt) wäre eine konjunkturelle Erlahmung. Wir alle brauchen doch ein stärkeres, nachhaltiges Wachstum! Wenn die führende Notenbank der Welt mit Schritten zur Zinsnormalisierung zögert - und das mehrfach -, dann sollte das auf uns Aktienfans eher wie Alarmglocken wirken. Jedenfalls ist es kein Grund zum Jubel.

Plausibel erscheint mir die Wertung des Deutsche-Bank-Strategen Ulrich Stephan: Der US-Arbeitsmarktbericht am Freitag ernüchterte. Dennoch schloss Fed-Chefin Janet Yellen am Montag eine Zinserhöhung im Juli nicht aus. Dazu müssten sich aber wohl die Zahlen vom Jobmarkt in diesem Monat wieder bessern - und die Briten für einen Verbleib in der EU stimmen. Der US-Markt nahm Yellens Worte mit kurzer Irritation zur Kenntnis und ging dann zur Tagesordnung über. Jo. Gucken wir lieber  wieder auf Europa!

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