Zeit zu kapitulieren?

Harald Weygand · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Liebe Leserinnen und Leser,

werfen Sie einen Blick auf den langfristigen Chart des deutschen Leitindex DAX. Er ist selbsterklärend. Der Kurs an sich ist ein Sentimentindikator. Fällt er, wird die Stimmung zunehmend schlechter und die Anleger bewerten die wirtschaftliche Lage schlechter. Stark fallende Kurse führen final zur Massenkapitulation, außer bei Warren Buffett. Buffett trägt ein Gen in sich, das ihn angst- und schmerzfrei macht. Er besitzt in solchen finalen Ausverkaufsphasen genügend Cash und Nerven aus Stahl, die es ihm erlauben, massiv in den Markt einzusteigen, wenn alle anderen in Panik verkaufen.

Steigt der Kurs hingegen, hellt sich die Stimmung auf und die Anleger strömen wieder in Scharen an die Börse. Voller Inbrunst und Überzeugung wird dann wieder angelegt. So lange, bis der Markt wieder kippt. Seit geraumer Zeit wird viel über ETF- und Dividendenstrategien gesprochen, man investiert wieder. Das in einem Bullenmarkt, der bereits seit 2009 läuft.

Zuletzt ist mir aufgefallen, dass es neue Erklärungsversuche für die extrem niedrigen Stände der Volatilitätsindizes wie VDAX und VIX gibt. Demnach sei diesmal alles anders und diese könnten lange so niedrig bleiben. Dass viele Anleger dieser Meinung sind, läßt sich an der hohen Shortaktivität beispielsweise auf den VXX erkennen. Die Vola wird geshortet, was das Zeug hält. Es ist meines Erachtens nur eine Frage der Zeit, bis sich auch diese Blase durch eine starke Marktkorrektur entladen wird. Bei Gold-, Silber-, Öl-Longs und US Treasury Shorts haben wir zuletzt gesehen, was geschieht, wenn der Markt stark in eine Richtung wettet. Es passiert das Gegenteil. Gold, Silber und Öl fallen, die Treasuries steigen (bisher zumindest).

Tesla. Tesla erinnert mich an die Zeit des Neuen Marktes. Das Unternehmen produziert Pi mal Daumen 100.000 Fahrzeuge im Jahr, General Motors 10 Millionen. General Motors verdient durchschnittlich 1.400 $ pro Fahrzeug, Tesla verliert knapp 16.000 $ pro Fahrzeug. An der Börse ist Tesla aber mittlerweile mehr wert als General Motors. Das ist verrückt. Zumindest teilweise schlittert der US Markt in eine Situation hinein, wie wir sie Ende der 1990er Jahre hatten.

Ich möchte mit diesem Artikel NICHT andeuten, dass der Bullenmarkt vorbei ist. Ich möchte nur aufzeigen, wie die über einen längeren Zeitraum steigenden Kurse, ganz langsam unmerklich stimmungsaufhellend wirken können. Ohne, dass es dem Anleger bewußt ist, ändert er seine Meinung. Dieser massenpsychologische Prozess spielt sich übrigens auf vielen Ebenen ab. Auch auf der politischen und gesellschaftlichen.

(© BörseGo AG 2017 - Autor: Harald Weygand, Head of Trading)

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