OTS: Börsen-Zeitung / Alles bleibt anders, Kommentar zu VW von Sebastian Schmid

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    Alles bleibt anders, Kommentar zu VW von Sebastian Schmid
Frankfurt (ots) - Aus Sicht von Herbert Diess endet seine Zeit an der VW-Spitze
abrupt. Aus Sicht des Aufsichtsrats war es eine Trennung mit langem Anlauf.
Immer wieder war Diess angeeckt. Nun haben die Familien Porsche und Piëch ihre
Daumen gesenkt. Ihre Hoffnungen ruhen künftig auf Oliver Blume, der die
Sportwagentochter und Ertragsperle Porsche führt.

Blume kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren. Der 54-Jährige gilt als
Teamplayer, der in der Vergangenheit mit der schnellen Umsetzung ambitionierter
Projekte überzeugen konnte. So ist Porsches elektrischer Erstling Taycan so gut
gelungen, dass er aktuell als Basis für zwei weitere Modelle des Konzerns dient.
Audis Erstling E-Tron kommt mit hohen Verbrauchswerten und geringer Reichweite
dagegen wie ein Relikt der ersten Elektrifizierungstage daher. Der Taycan-Erfolg
und die dafür nötige Fähigkeit Blumes, Menschen zu begeistern und Teams
zusammenzuschweißen, sind es, die den Aufsichtsrat zuversichtlich machen, dass
der gebürtige Braunschweiger die Baustellen im Gesamtkonzern in den Griff
bekommen wird.

Doch wo liegen die Hauptprobleme Volkswagens? Und wie realistisch erscheint
deren Lösung? Die mit Abstand größte Baustelle und am Ende wohl der Tropfen, der
das Fass im Aufsichtsrat zum Überlaufen gebracht hat, ist die Softwaretochter
Cariad. Seit ihrer Gründung als Car.Software-Org vor gut zwei Jahren steht sie
unter einem schlechten Stern. Vom Ziel, bis 2025 den Anteil der eigenen Software
von unter 10 Prozent auf 60 Prozent zu steigern, hat sich VW verabschieden
müssen. Bereits nach wenigen Monaten hatte der erste Chef der Einheit, Christian
Senger, seinen Hut genommen. Mittlerweile steht Nachfolger Dirk Hilgenberg in
der Kritik.

Bei wesentlichen Entwicklungszielen hängt Cariad hinterher. Schon die Software
1.2, die Audi und Porsche in ihren nächsten, bereits produktionsfertigen
Modellen einsetzen wollen, ist in Verzug. Die Software 2.0, die für Autos aller
Konzernmarken gleichermaßen funktionieren soll, kommt frühestens 2027 zum
Einsatz - eine Ewigkeit in der Softwarewelt. Heute lässt sich zwar noch nicht
absehen, was die großen US-Tech-Konzerne Apple, Google oder Nvidia in fünf
Jahren aufbieten werden. Sicher ist aber, dass sie allesamt kräftig in
Automobilsoftware investieren und bis dahin einige Release-Zyklen Zeit haben, um
ihr Angebot zu verfeinern.

Die Wette von Diess, über ein halbes Jahrzehnt für einen zweistelligen
Milliardenbetrag eine zentrale Software zu entwickeln, die alle Konzernmarken -
von Seat bis Porsche - gleichermaßen weiterbringen soll, erscheint nachgerade
fahrlässig. Das zeigen nicht nur die Verspätungen zu diesem frühen Zeitpunkt.
Das zeigt vor allem die Antwort auf die Frage, was im Falle eines
Entwicklungsfehlschlags drohen würde: Für VW wäre es ein GAU, der alle Marken
zugleich treffen würde.

Blume dürfte sich als CEO einer nach Autonomie strebenden Tochter leichter tun,
Marken und Regionen mehr Freiheit in Softwareentwicklung und Partnerschaften zu
geben. So hat Porsche selbst bereits mit Apple über den Einsatz der nächsten
Carplay-Software gesprochen, die Ende 2023 fertig sein soll. Diess hatte für VW
hingegen Kooperationen mit den großen Tech-Firmen stets abgelehnt. Eine Abkehr
vom "One size fits all"-Ansatz würde zudem eine alte Stärke des VW-Konzerns ins
Spiel bringen, die Diess ausgerechnet in der Software außer Kraft setzen wollte:
den Wettbewerb der Marken untereinander. Was das für Cariad bedeutet, ist offen.
Nur dürften die Ziele unter Blume eher zurückskaliert werden.

Ein grundlegendes Problem wird Blume indes kaum lösen: Transformation ist in
Wolfsburg nur zwischen sehr eng gesteckten Leitplanken machbar. Denn mit dem
mächtigen Betriebsrat auf der einen und dem Land Niedersachsen auf der anderen
Seite muss er zwei Stakeholder bedienen, die Standortthemen oft höher gewichten,
als es aus Sicht des Unternehmens ratsam wäre. Dem Vernehmen nach ist dies der
wesentliche Grund, warum Cariad in Wolfsburg angesiedelt wurde.

In anderen Bereichen ist derweil nicht zu erwarten, dass Blume grundlegend
um­schwenkt. So mag er sich als Porsche-CEO für E-Fuels eingesetzt haben. Für
das Volumensegment spielen diese entgegen dem Wunschdenken mancher
Verbrennerfreunde aber absehbar keine Rolle. Die Elektrifizierung der VW-Marken
wird weitergehen.

In China dürfte der Neue an der Konzernspitze derweil wenig eingreifen. Hier
steht der Ex-VW-Markenchef Ralf Brandstätter im Feuer. Auch beim Porsche-IPO
geht die Sorge, ob Blumes Doppelbelastung zum Problem wird, am Thema vorbei.
Sorgen machen sollte eher der Interessenkonflikt eines Konzernchefs, der
zugleich eine nach Unabhängigkeit strebende Marke an die Börse und deren auf
Synergien bedachte Konzernmutter führen soll. Eine derart seltsame Konstruktion
erscheint dann doch typisch für Volkswagen. Ob mit Diess oder Blume: In
Wolfsburg bleibt wie immer alles anders.

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