Das Phänomen des „Fait Accompli“

Stefan Riße · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Manche mögen gestern Abend verwundert gewesen sein. Da kündigt die US-Notenbankchefin Janet Yellen bei Ihrer Rede vor dem Kongress so unmissverständlich an wie nie zuvor, dass bei der nächsten Sitzung der Federal Reserve (FED) die Zinsen angehoben werden und was machen die Aktien? Sie haussieren. Sind Zinserhöhungen jetzt etwa gut für Aktien? Nein, aber wenn etwas von den Börsianern fest erwartet wird, so wie diese Zinserhöhung schon lange erwartet wird, dann ist es bereits in den Kursen eingepreist. Dann greift das Phänomen des „Fait Accompli“, also der vollendeten Tatsache schon bevor, es eine Tatsache ist.

Spekulation bezieht sich immer auf die Zukunft

Warum ist das so? Die Frage ist im Grunde leicht zu beantworten. Spekulieren lässt sich im Grunde nur auf ein Ereignis, das erstens in der Zukunft liegt und zweitens mit gewisser Unsicherheit behaftet ist. Ist etwas eine vollendete Tatsache, lässt sich darauf nicht spekulieren. Die US-Präsidentschaftswahl hat das wieder deutlich gezeigt. Die Wahl von Donald Trump zum 45. US-Präsidenten führte nicht zum von so vielen befürchten Einbruch bei den Aktien. Zwar gab es erhebliche Abschläge in der Wahlnacht, mit Trumps versöhnlicher Siegesrede drehte sich der Markt und die Verluste wurden wieder aufgeholt. Auch in Deutschland eröffnete der DAX mit Verlusten von rund 500 Punkten, holte dann aber alles auf und schloss sogar mit rund 100 Punkten Gewinn gegenüber dem Vortag. In den USA gab es bereits Rekordkurse. Ich hatte genau diesen Kursverlauf im Falle eines Wahlsieges von Trump bereits am 28. Oktober hier in dieser Kolumne prognostiziert.

Erwartet oder unerwartet, Fait Accompli ist Fait Accompli

Tritt ein erwartetes Ereignis ein, dann dreht der Markt zumeist in die entgegengesetzte Richtung. Für den Laien wirkt die Börse wie ein Betrunkener. Auf gute Nachrichten hin weint sie und auf schlechte hin lacht sie. Tatsächlich ist einfach nur die Spekulation beendet. Kommt hingegen etwas unerwartetes, wie eben jetzt die Wahl von Trump, dann gibt es eine schnelle Anpassungsbewegung, aber danach drehen die Kurse dann wieder in die andere Richtung. Nur wenn das Ausmaß eines Ereignisse zunächst nicht voll bekannt ist oder erfasst wird, dann wird täglich eine neue Spekulation auf das noch rosigere oder noch schlimmere, was daraus werden könnte. Das war schön im VW-Abgasskandal zu beobachten. Mit dem Eingeständnis war dieser eigentlich auch ein „Fait Accompli“. Weil jedoch Stück für Stück das Ausmaß und der Schaden immer größer eingeschätzt wurden spekulierten die Marktteilnehmer eben genau hierauf.

Kriege sind die prägnantesten Beispiele

Es ist kaum zu glauben, aber selbst beim Ausbruch des zweiten Weltkrieges schoss beispielsweise die Pariser Börse nach oben, nachdem sie zuvor aus Angst vor einem möglichen Krieg über Wochen gefallen war. Denn was sollten die Börsianer nun tun. Auf Krieg spekulieren ging nicht mehr, der war eine Tatsache, also blieb nur ein schneller möglicher Frieden als Spekulationsziel. Erst als klar wurde, dass es diesen nicht geben und auch Frankreich in den Krieg involviert werden würde, brach die Börse dann vollkommen zusammen. Im Golf- und Irak-Krieg war es genauso. Mit der ersten Bombe startete eine Hausse. Da die Allianz gegen den irakischen Staatschef Saddam Hussein jedoch in beiden Kriegen erfolgreich operierte kam es nicht zum Verlauf wie im zweiten Weltkrieg.
Wer das Phänomen des Fait Accompli verstanden und verinnerlicht hat, der kann hieraus zuweilen großen Profit ziehen. Brexit und US-Präsidentschaftswahl waren dafür gute Beispiele.

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