Debatte über EU-Stabilitätspakt: Zeit gegen Reformen

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wenn die 28 Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag im belgischen Ypern zusammenkommen, sollen die Weichen für die Europapolitik der kommenden Jahre gestellt werden. Es dürfte ein Gipfel mit umstrittenen Entscheidungen werden - inhaltlich wie personell. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht der künftige Wirtschaftskurs der Europäischen Union.

Führende Sozialisten und Sozialdemokraten in Europa fordern einen Kurswechsel und wünschen sich mehr Flexibilität bei der Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Bei einem Treffen in Paris, an dem auch SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel teilnahm, verständigten sie sich auf eine gemeinsame Linie für den EU-Gipfel. “Wir wollen der Formel Reformen gegen Zeit beim Defizitabbau folgen”, sagte Gabriel im Anschluss. Es müsse dafür gesorgt werden, “dass die Chancen des Paktes für Wachstum und Arbeit endlich genutzt werden”.

Ringen um Wirtschaftspolitik

Der Appell ist nicht neu, doch hat er diesmal Gewicht. Auf dem EU-Gipfel wollen sich die Staats- und Regierungschefs auf einen neuen EU-Kommissionspräsidenten einigen. Als Favorit gilt der konservative Luxemburger Jean-Claude Juncker, der aber selbst im eigenen Lager umstritten ist. Großbritanniens konservativer Premierminister David Cameron ist erklärter Juncker-Gegner. Dafür kann der ehemalige luxemburgische Regierungschefs auf die Unterstützung linker Staats- und Regierungschefs setzen – vorausgesetzt, die künftige EU-Kommission ist zu Zugeständnissen beim Stabilitäts- und Wachstumspakts bereit.

Ob es zu einer solchen Einigung auf dem EU-Gipfel kommt, wird nicht zuletzt von Bundeskanzlerin Angela Merkel abhängen. Bislang pochte sie stets auf die Einhaltung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakt. Am Montag ließ Merkel jedoch vorsichtiges Entgegenkommen signalisieren.

Eine flexible Anwendung des Stabilitätspakts sei möglich, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. So könnten etwa beim Defizitverfahren negative wirtschaftliche Entwicklungen berücksichtigt werden. Zudem gebe es eine «Investitionsklausel», mit der größeren Strukturreformen Rechnung getragen werden könne. Allerdings erinnerte Seibert den Regierungspartner SPD an den Koalitionsvertrag. Dort heiße es, die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts müssten konsequent angewendet und überwacht werden.

Druck aus Italien und Frankreich

Deutlichen Gegenwind dürfte Kanzlerin Merkel beim EU-Gipfel aus Italien ins Gesicht blasen. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi pocht auf eine stärkere Wachstumsorientierung der künftigen EU-Politik. „Unsere Regierung will unterstreichen, dass die Politik des Rigorismus und der Austerität nichts gebracht hat und für beendet erklärt werden muss“, sagte Renzi vor wenigen Tagen. Er wünscht mehr öffentliche Ausgaben und weniger Vorgaben für Haushaltspolitik und die Entwicklung der Staatsschulden.

Unterstützung bekam Renzi von Frankreichs Präsidenten François Hollande. Er sprach sich erneut für mehr Flexibilität beim EU-Pakt aus. Wachstum und Beschäftigung hätten Priorität, sagte Hollande und verwies auf die Ergebnisse der Europawahlen, die in seinen Augen eine Neuorientierung der EU-Politik nötig machen.

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