Gedanken zum Abwarten und Einpreisen

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo Leute! Alte Füchse können schon mal ketzerisch werden und ironisch spotten. Mir ist danach, obwohl ich über das Gelaber von Börsen-Profis und Börsen-Journalisten als deren Lautsprecher ja öfter meckere. Aber wie die Tage vor und nach dem Italo-Referendum kommentiert wurden, geht mir total auf den Senkel. Was mich dabei voll ärgert, ist a) das kurze Gedächtnis und b) das vorgetäuschte Wissen. Die tun dauernd so, als wüssten sie auch im Zeitalter der Algorithmen jeden Tag ganz genau, warum die Kurse rauf und runter gehen. Man ist ja ein „Insider“. Und dann werden immer und immer wieder Tendenzbegriffe verwendet, die das Ausmaß der Kursbewegungen unzulässig vergröbern - geht’s 0,8 Prozent runter, ist die Börse gleich „schwach“, steigt der Dow um knapp 1 Prozent, ist die Wall Street „bombenfest“ usw.

Ziemlich schlimm finde ich im Sprachgebrauch, dass der Markt fast täglich auf irgendwas voll Wichtiges „wartet“ - Warten auf den ifo-Index, US-Auftragseingänge, Äußerungen von Fed-Yellen oder EZB-Draghi. Eigentlich müsste man die Börsen häufiger schließen, weil die Börsianer auf was warten. Ähnlich blöd ist die einfache Aussage, die Anleger seien „unsicher“. Achtet mal darauf, meine Freunde, wie oft das in den Tagesberichten eingesetzt wird! Ketzerischer Seitenhieb: Börsen sind immer unsicher, sonst stünden ja alle auf der gleichen Seite und es käme kein Handel zustande.

Absolut bescheuert ist schließlich die Ausrede „eingepreist“, wenn eine Nachricht die Kurse nicht erwartungsgemäß bewegt. Früher, als ich noch ein Jungfuchs war, wurde das formuliert, wenn eine fundamentale Zahl (Dividende, Ertragssteigerung u. ä.) so herauskam, wie es die Märkte erwartet bzw. befürchtet hatten - Beispiel: „Die Dividendenkürzung war schon seit zwei Tagen eingepreist“ (= Der Kurs ging schon vor der offiziellen Bekanntgabe entsprechend zurück und anschließend nicht mehr). Aber die spontanen Kurssprünge beim Dax am Montag damit zu begründen, dass man den Renzi-Flop schon eingepreist hatte? Einfach blöd. Denn in der Vorwoche war das Debakel zwar vielfach befürchtet worden, deshalb auch schwache Kurse. Und weil man damit richtig gelegen hatte, kann „eingepreist“ doch nicht als Argument für den fulminanten Kursanstieg gelten. Nee, nee, Ihr Baissisten, die Ihr Euch eindecken musstet, als sich die Börse früh am Montag überraschend widerstandsfähig zeigte, das ist zu simpel. Und die Begründung wird auch nicht viel besser durch den Hinweis, die Finanzmärkte hätten aus den Fehleinschätzungen nach dem Brexit-Votum und der Trump-Wahl gelernt.

Ein in meinen Augen großer deutscher Politiker räumte vor Jahren in einem Talk einmal seufzend ein, man müsste öfter auch sagen dürfen „Ich weiß es nicht“ - aber das ginge wohl nicht, weil dann die Öffentlichkeit an der Kompetenz des Politikers zweifeln würde. Also ich würde das voll sympathisch finden. Ganz ehrlich. Gerade jetzt, wo Hochfrequenz-Software für die Kurszuckungen verantwortlich ist. Und ich möchte ähnliche Selbstkritik auch den Börsenexperten und ihren Gesprächspartnern empfehlen. Übrigens werde ich nie vergessen, wie der von mir sehr geschätzte „Börsen-Dino“ Hermann Kutzer vor vielen Jahren in einem Vortrag genau dieses Thema auf die Schippe nahm und dabei ins Publikum rief: „Wissen Sie eigentlich, was eingepreist ist? Ganz einfach, wenn ein Bayer den Freistaat verlässt und ins preußische Berlin umzieht. Nach etwa einem Jahr gilt er dann als eingepreist, ääh, eingepreußt“.

Aber zum Schluss noch was Positives, denn für die relativ stabile (Dax) bis feste (Dow) Verfassung gibt es unterm Strich eine gute Begründung: Jede Menge Geld wartet auf Anlage - wo soll es hin, wenn nicht an den Aktienmarkt? Dazu passt folgende frische Meldung aus New York: Der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock erwartet angesichts hoher Bargeld-Bestände von Investoren rosige Zeiten für die Aktienmärkte. Anleger horteten derzeit rund 70 Billionen Dollar, sagte Blackrock-Präsident Rob Kapito auf einer Fachkonferenz in New York. Die Barmittel seien so hoch wie nie zuvor. Auf der Suche nach höheren Renditen dürfte dieses Geld an den Börsen investiert werden. „Die Leute haben es satt, nichts zu verdienen.“ An den weltweiten Aktienmärkten werde sich deshalb die Aufwärtstendenz fortsetzen.

Tja, klingt ganz plausibel - aber ich bleibe vorerst neutral.

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