Terror als neues Risiko für die Finanzmärkte?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

In unserer modernen Wirtschafts- und Finanzwelt haben wir uns an logische Ursache- und Wirkungszusammenhänge gewöhnt, die so automatisch gesteuert sind wie unsere Heizungsanlagen zu Hause. Ist z.B. die Konjunktur zu schwach bzw. Inflation zu gering, senken die Notenbanken die Zinsen bzw. erhöhen ihre Liquiditätsversorgung und umgekehrt. Diese typischen, musterhaften Abläufe haben Leitplankenfunktion für meine Kapitalmarktanalyse. Ansonsten wäre eine vernünftige Prognose von DAX, Zinsen oder Währungen nicht mehr möglich. Ja, Analyse ist von Kopf bis Fuß auf das Normale, auf die alltäglichen, weißen Schwäne eingestellt.

Was macht man aber, wenn plötzlich ein unvorhergesehenes Ereignis zum Vorschein kommt, etwas, was man nicht auf dem Radarschirm hat, einen seltenen schwarzen Schwan?

Zu so etwas Unberechenbarem gehören auch die Terroranschläge von Paris. Wie geht man mit dieser diffusen und abstrakten Gefahr um? Sollte ich in meiner Kapitalmarktanalyse Platz für diesen schwarzen Schwan machen? Immerhin gehört Terrorismus leider zur Lebenswirklichkeit dazu und hatte bereits im September 2001 für weltweit dramatische Verunsicherung und wirtschaftliche Kollateralschäden gesorgt. Nein, es macht keinen Sinn. Denn ob, wann und wie dieses düstere Federvieh erscheint, kann ich nicht prognostizieren. Berücksichtigte ich es theoretisch, würde Analysearbeit praktisch zum Raten der Lottozahlen. Überhaupt tät ich damit dem islamistischen Terror auch noch einen Gefallen tun: Er fände bei der Einschätzung von Konjunktur und Finanzmärkten eine Aufmerksamkeit, die diesen Psychopaten nicht zusteht. Daher werde ich Kapitalmarktanalyse wie bisher betreiben. Terroristen haben bei mir keinen Platz, auch keinen theoretischen.

Haben politische Börsen kurze Beine?

Ich sehe mit Freude, dass sich die negativen Reaktionen an den Finanzmärkten - auch im Nahen Osten - nach den Terroranschlägen sehr begrenzt waren bzw. gar nicht stattgefunden haben. Lediglich der US-Dollar stieg, wobei diese Aufwertung schon zuletzt zu beobachten war. Auch der Goldpreis als sichere Anlageklasse konnte nur kurzfristig zulegen. Selbst der früher noch krisensensible Ölpreis verhält sich vergleichsweise ruhig. Ich gehe nicht von nachhaltig steigenden Ölpreisen und in der Folge einer irritierten Weltkonjunktur aus. Dazu sind die Ölmärkte viel zu überversorgt: Saudi-Arabien produziert an seinen Kapazitätsgrenzen, um dem neuen Konkurrenten Iran, der ab dem nächsten Jahr wieder nennenswert produzieren wird, von seinen Märkten fernzuhalten. Auch Russland versucht die Ölpreisschwäche durch eine rekordhohe Ölproduktion zu kompensieren. Insgesamt haben wir es mit einem historisch beispiellosen Puffer gegen jeden geopolitischen Schock inklusive Terror zu tun. Überhaupt, mit Fracking steht eine alternative Ölfördermöglichkeit zur Verfügung, die bei steigenden konventionellen Ölpreisen sofort zum Einsatz kommt. Damit hat die OPEC ungefragt Ähnlichkeiten mit meinem Kater Niko: Ohne Zähne, ohne Schwanz und auch noch kastriert. Selbst bei einem verstärkten militärischen Einsatz des Westens in Syrien rechne ich nicht mit großen Reaktionen auf den Ölpreis, denn die Förderländer sind dringend auf jeden Dollar Einnahmen aus dem Ölverkauf angewiesen.

Nicht zuletzt erwarte ich, dass sich die Kursverluste bei Luftlinien und Tourismusunternehmen zügig zurückbilden werden.

Es freut mich sehr, dass der Terror von Paris im Vergleich zu den Anschlägen vom 11. September 2001 dramatisch an Wirkung verloren hat. 9/11 war ein Schock, weil man derartiges im Westen und schon gar nicht auf dem Boden der Weltmacht USA kannte. Mittlerweile haben leider weitere Terroranschläge stattgefunden. Die Finanzmärkte haben sich daran gewöhnen müssen, haben sich ein dickeres Fell zugelegt.

Natürlich, würde der Terrorismus uns regelmäßig heimsuchen, wäre dies ein scharfer Einschnitt, eine strukturelle Krise. Mit zunehmender Angst der Bevölkerung würde sich auch die Konsum- und Investitionsneigung abkühlen. Einbußen im Wirtschaftswachstum, wenn nicht sogar Rezessionen wären die logischen Folgen.

Ein gemeinsamer Feind eint mehr als tausend gemeinsame Freunde

Doch scheint sich dagegen endlich ein internationaler Schulterschluss abzuzeichnen, eine Anti-Terror-Koalition. Ist es nicht ermutigend, dass im Rahmen des G20-Treffens in der Türkei, US-Präsident Obama und sein russischer Kollege Putin beim Kaffee erstmals wieder die Köpfe zusammenstecken, um Pläne im Kampf gegen den IS zu besprechen? Ich bin nicht naiv und will die Chancen auf ein Ende der Eiszeit zwischen dem Westen und Väterchen Frost Russland nicht zu optimistisch betrachten, aber sie sind immerhin da. Ein verstärktes Ziehen an einem Strang im Krieg gegen den Islamismus ist auch bei europäischen Politikern zu beobachten, die in letzter Zeit nicht unbedingt durch viel Corpsgeist oder Solidarität, sondern durch gegenseitiges Hauen und Stechen aufgefallen sind. Setzt sich diese Harmonie fort, wäre dies ein großartiges Signal, dass Europa trotz aller Kritik doch noch harmoniert, ja funktioniert. Nicht zuletzt könnten damit auch wirkungsvolle Lösungsansätze in der Flüchtlingskrise verfolgt werden. Insgesamt werden die Finanzmärkte damit immer mehr geopolitisch gestützt und immer weniger geopolitisch geschwächt.

Die Schwankungsbreite vor allem bei Aktien wird zwar zunehmen. Dies ist aber nicht primär den Terroranschlägen geschuldet, sondern den vielfältigen Problemen wie der Konjunkturschwäche in den Schwellenländern, der Zinswendediskussion in den USA und der überbordenden weltweiten Verschuldung. Hinzu kommt interessanterweise die zur konjunkturellen Stimulierung großzügigste Zins- und Liquiditätspolitik aller Zeiten, die jedoch dramatische Anlagenotstände verursacht. Diese führen dazu, dass Renditepotenziale bei einzelnen Anlageklassen immer zügiger abgeweidet werden und anschließend plötzlich die Anlagekarawane weiterzieht. Doch verhindert die Geldpolitik somit zumindest einen nachhaltigen Aktieneinbruch.

Insgesamt sind die Finanzmärkte robust. Wie Frankreich lassen sie sich nicht unterkriegen. Sie machen sich das Wappenmotto der Stadt Paris zu eigen, nämlich Fluctuat, net mergitur: Sie (Paris) schwankt, geht aber nicht unter.

Damit ist die Jahresend-Rallye nicht beendet.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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