Wenn die tickende Zeitbombe Altersvorsorge von der Politik nicht entschärft wird

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Wer 40 Jahre lang 2.100 Euro brutto verdient hat, wird aufgrund vieler Reformen an der gesetzlichen Rente - sie ist ein richtiges Versuchs-Karnickel - nur ein Altersruhegeld auf Sozialhilfeniveau erhalten. Der Grundsatz Leistung muss sich wieder lohnen wird mit Füßen getreten. Die Einkommenslücke, die die gesetzliche Rente hinterlässt, kann auch das Butterbrot der Riester-Rente nicht ausgleichen. Auch die blinde Liebe der germanischen Sparer zu Zinsvermögen wird sich als schwere Bürde in der Altersvorsorge erweisen. Knapp 80 Prozent der Bundesbürger halten ihr Geldvermögen in Zinsanlagen. Dabei geht es nicht nur um Sparbuch, Festgeld oder Staatsanleihen, sondern auch um die betrieblichen und privaten Zusatzversicherungen, die sich aufgrund regulatorischer Vorgaben üppig in Zinspapieren suhlen (müssen). 

Theoretische Sicherheit im Praxistest


Man mag argumentieren, dass es sich bei Staatspapieren um sichere Anlagen handelt: In der modernen Portfoliotheorie wird ein risikofreier Zins unterstellt, der damit auch ein Ausfallrisiko ausschließt. Aber will man auf Sicht der nächsten Anspar-Jahrzehnte wirklich die Anleger-Hände dafür ins Feuer legen, dass die völlig überschuldeten eurozonalen Staaten und ihre Papiere unantastbar sind? In der Finanzgeschichte haben unzählige Staatsbankrotte das Zinsvermögen praktisch immer und immer wieder weggespült wie die Meeresflut die Sandburg am Strand. 

Gibt es denn wenigstens eine Risikoentschädigung durch Zinsen? 

Nein, so wie die Sonne ungeputzte Fenster gnadenlos zum Vorschein bringt, machen spätestens die Zinsdrücker der EZB Zinspapiere zu einer prekären Anlageklasse: Renditen für eine Vielzahl eurozonaler Staatspapiere und Risikoaufschläge sind genauso ausgestorben wie Dinosaurier. Nimmt man noch die tatsächliche Inflation - nicht die geschönte offizielle - hinzu, hat man mit Staatspapieren die Sicherheit , dass die Vermögenssubstanz ähnlich angefressen wird wie ein altes Fahrrad von Rost. Altersvorsorge auf Basis von Zinsvermögen allein ist kein Ausweg aus, sondern eine Einfahrt in die Falle der Altersarmut. 

Wer ist wirklich Schuld an der Endzeitstimmung für deutsche Sparer?

Natürlich erkennt die Politik die tickende Zeitbombe Altersvorsorge insbesondere für die Jugend, die Generation Y: Bei Beibehaltung des Status Quo müssen in unserer immer älter werdenden Gesellschaft die Bürger länger arbeiten und/oder höhere Rentenbeiträge zahlen und/oder sich mit einer geringeren gesetzlichen Rente abfinden.

Und was tut die Politik zur Bombenentschärfung? Zunächst wird der schwarze Peter Mario Draghis EZB zugeschoben. Ja, natürlich ist ihre Geldpolitik fatal. Jedoch ist der zinspolitische Anlagenotstand eine Folge der europäischen Finanz- und Konjunkturkrise, die wiederum eine Folge der verheerenden Wirtschaftspolitik der Euro-Staaten ist. Aus Angst vor dem Fluch der Eurozone Wer reformiert, wird abgewählt meiden Politiker Strukturanpassungen wie Katzen das Wasser. 

Selbst Deutschland bekäme keinen Reform-Oscar für seine aktuelle Standort- bzw. Infrastrukturpolitik. Und da die Regierungen ihre medizinische Hilfeleistung für Wirtschaftswachstum grob fahrlässig, sogar mit Vorsatz vernachlässigen, ist die geldpolitische Intensivstation gezwungen, die Euro-Konjunktur mit Nullzinsen zumindest in eine stabile Seitenlage zu bringen. Nicht die helfende Geldpolitik, sondern die hilflose Politik enteignet die Sparer in puncto auskömmlicher Altersvorsorge. Es gilt: Je mehr wachstumsfördernde Reformpolitik umgesetzt würde, umso eher könnten die Zinsen wieder steigen.

Eine große Koalition muss auch in der Altersvorsorge Großes tun


Ein billiges politisches Ablenkungsmanöver ist es, die Problemlösung in einem immer späteren Renteneintrittsalter zu sehen. Soll die Mehrheit der jungen Leute mit 80 in Ruhestand gehen? Wie sollen Handwerker oder das Personal in Pflegeheimen dies schaffen? Ebenso kann man die Rentenversicherungsbeiträge nicht permanent steigern. Dann hat die Bevölkerung weniger Kaufkraft und die deutsche Binnenkonjunktur wird gehemmt. Nein, die Große Koalition muss in der Altersvorsorge großen Mut beweisen, über ihren Schatten springen. Übrigens ist das der Sinn von GroKos, die heiße Eisen anpacken müssen. Ansonsten brauchen wir sie nicht. Bislang war die aktuelle allerdings sehr hitzeempfindlich. 

Es ist zunächst wichtig, dass alle Bundesbürger - auch Politiker - in die gesetzliche Rente einzahlen. Für mich ist es absurd, dass Politiker über die gesetzliche Rente bestimmen, von ihr persönlich aber nicht betroffen sind. Die Regierung muss vor allem die alten Zöpfe der bisherigen Altersvorsorge abschneiden. Ihre nibelungenhafte Treue zu Zinsanlagen muss gestutzt werden wie das Fell des Pudels im Hundesalon. In die Altersvorsorge gehört mehr Sachkapital. Die eigengenutzte Immobilie ist sicher wichtig. Aber auch Aktien gehören dazu. Es geht schließlich um die Begrenzung von Wohlstandsverlusten im Alter.

Natürlich sind Aktien mit Risiken behaftet: Aktienschwankungen und auch stärkere Konsolidierungen hat es immer gegeben und wird es auch zukünftig geben. Schaut man sich jedoch die großen Aktieneinbrüche der Vergangenheit im Zeitablauf an - Neuer Markt, Immobilien- und Euro-Krise - stellt man fest, dass erstens die Kursverluste immer wieder aufgeholt und zweitens die Dauer und Intensität von Kurseinbrüchen immer kleiner wurden. Und genau wegen dieser Kursschwankungen macht regelmäßige und nachhaltige Altersvorsorge in Aktien Sinn. 

Die Kraft der zwei Herzen schlägt hier gnadenlos positiv: Erstens erhält man bei sinkenden Kursen für seinen gleichbleibenden Sparanteil mehr Aktienanteile, die zweitens bei Börsenerholung die Kurse anheben wie die Flut ein Schiff. Zur Risikobegrenzung dieser Art Altersvorsorge werden weitere Elemente eingebaut: Der Anlagefokus ist auf Aktien und/oder Aktien-Fonds bzw. Aktien-ETFs aus dem Euro-Raum begrenzt, um Währungsschwankungen zu entgehen. Bei der Aktienauswahl sollte es zudem im Schwerpunkt um Titel gehen, die ein langfristig stabiles Geschäftsmodell haben. Unternehmen, die sich um Essen, Trinken, Wohnen, zum Arzt gehen, Mobilität oder Kommunikation kümmern oder von der wachsenden Weltbevölkerung profitieren, werden nicht aussterben. 

Daneben sollte ebenso auf Aktien mit hohen Dividenden gesetzt werden, die im Ansparzeitraum den heutzutage nicht mehr möglichen Zinseszinseffekt durch den Wiederanlageeffekt von Ausschüttungen attraktiv ersetzen. Dividendenstarke Aktien sind zudem weniger anfällig für Kursschwankungen. Der Staat sollte konkrete Vermögensbildungsfonds auf Aktien anbieten, um den individuellen Anlageaufwand zu reduzieren. Und natürlich sollte niemand in diesen Anlageinstrumenten bis heute ansparen, wenn man morgen in Rente geht. Mit zunehmendem Rentenbeginn wird das Aktienrisiko heruntergefahren. 

Die Bundesbürger haben die Wahl: Entweder Einkommensteuern zahlen oder vom Steuerbrutto Altersvorsorge aufbauen


Für die Altersvorsorge sollte sich die Politik dieser Vorteile des Aktiensparens bedienen. Zwar praktizieren schon viele Bundesbürger dieses Anlageverhalten. Aber jetzt geht es um breite Bevölkerungsgruppen und natürlich um die Jugend. Im Durchschnitt gibt jeder deutsche Haushalt mehr Geld für Südfrüchte als für Aktien aus. An die muss man herankommen. Es geht um einen gesunden Volkskapitalismus zum Wohle der Altersvorsorge. Aber wie? Mit Fördern und Fordern. Fördern heißt schmackhaft machen mit staatlichen Steuervorteilen. 

Einen ordentlichen monatlichen Betrag sollten die Deutschen aus ihrem Steuerbrutto in Aktien ansparen können. Das angesparte Vermögen sollte ebenso beim Vermögensverzehr als Rentner steuerfrei bleiben. Und Fordern heißt, möglichst über Jahrzehnte anzusparen und die Ansparleistung nicht anzutasten, wobei Ausstiegsoptionen für die Härten des Lebens möglich sein müssen. Hätten die Bürger die Wahl zwischen Versteuerung des Einkommens oder langfristig steuerfreiem Aufbau einer ordentlichen Altersvorsorge über Aktien, dürfte die Entscheidung sehr leicht fallen. Den Einnahmeverlust aufgrund der steuerlichen Aktien-Förderung sollte der Staat in Kauf nehmen. Denn damit wirkt er der späteren Zahlung von Sozialhilfe entgegen.

Die Politik muss keine Liebesbeziehung zu Aktien führen, aber eine Zweckehe wäre sehr vernünftig


Ich weiß, für die Bundesregierung wäre diese freiwillige, stärker aktienlastige Rentenpolitik eine Revolution. Aber basieren auf unseren börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften nicht jede Menge volkswirtschaftlicher Wohlstand und sichere Arbeitsplätze? Sind unsere Kanzlerin und ihre Minister nicht zu Recht stolz auf unsere deutschen Industriewerte? Was ist also falsch daran, sich an diesen Unternehmensperlen auch in Altersvorsorgeform zu beteiligen? 

Für eine völlig risikoentspannte Einschätzung von Staatspapieren und eine dagegen überkritische Risikoaversion gegenüber börsennotierten Unternehmen fehlen nachvollziehbare Gründe. Die Politik sollte hier nicht mit zweierlei Maß messen. Immerhin haben Unternehmen wie Daimler oder Siemens zwei Weltkriege überstanden. Haben Staatspapiere das auch geschafft? Selbst Angst vor mangelndem Absatz ihrer Staatspapiere muss die Bundesregierung nicht haben. Mit seinem Anleiheaufkaufprogramm ist der heilige Mario so etwas wie der Schutzpatron der europäischen Staatsanleihen.

Die politische Umsetzung ist gewiss nicht einfach. Aber zur Entschärfung der tickenden Zeitbomben Renten-Kollaps und Altersarmut ist jede Anstrengung gerechtfertigt und das Ablegen ideologischer Scheuklappen in Fragen der Altersvorsorge eine dringende Bringschuld. Die Regierung hat sich um das Wohl ihrer Bürger auch im Alter zu sorgen. Denn nicht jeder in Deutschland ist Politiker und kann sagen: Im Gegensatz zur gesetzlichen Rente ist meine Pension sicher!

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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