Ist die Jahresend-Rallye bei deutschen Aktien abgesagt?

Robert Halver · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Es gibt Zeiten, da kommt es knüppeldick, es gilt Murphys Gesetz, wonach alles, was schiefgehen kann, auch tatsächlich schiefgeht. Das spürt in diesen Tagen auch der deutsche Leitindex DAX. Probleme machen ihm schon länger drei Branchen: Die Banken werden reguliert wie schwer erziehbare Kinder, Versicherungen sind durch erbärmliche Zinserträge verunsichert und unsere Versorger wurden nach Fukushima vor allem aus wahlpopulistischen Motiven zum Abschuss freigegeben und jetzt macht bereits das Wort Staatshilfe die Runde. Dies allein wäre schon belastend genug für den DAX.

Deutschland wird zu viel verwaltet und zu wenig geführt

Aber jetzt nagt auch noch die Neue Sachlichkeit in puncto Weltwirtschaft heftig am Selbstbewusstsein zyklischer deutscher Aktien. Ein Handicap dabei für die deutsche Wirtschaft ist sicherlich auch noch die Berliner GroKo. Mit ihrem gewaltigen politischen Gewicht könnte sie wirtschaftspolitisch eigentlich ganz dicke Bretter bohren. Doch für ihre Brettchen reicht mühelos eine Laubsäge. Wo bleibt denn die so notwendige Fortsetzung der Agenda 2010 -Politik. Warum tut man trotz bester Refinanzierungsmöglichkeiten nicht endlich etwas gegen die marode deutsche Infrastruktur?

Und wäre das konjunkturzyklische Image des deutschen Leitindex nicht schon angekratzt genug, leistet sich zu allem Übel VW auch noch ein stinkendes Eigentor. Wenn jetzt neben den anderen angeschlagenen Branchen auch noch unsere Autobauer in Verruf geraten, ist die Statik des DAX, einem weltweit führenden Aktienindex, in Gefahr.

Die VW-Krise ist die Griechenland-Krise für die deutsche Industriekultur

Rational betrachtet bauen wir weiterhin großartige Autos. Das Problem ist aber das psychologische Element, das Anleger-Kopfkino. Durch die dicke Luft, die VW verursacht hat, werden im wichtigsten Investorenland der Welt plötzlich skeptische, ja sogar frevelhafte Fragen nach dem Geschäftsmodell Made in Germany gestellt. Man hat vor allem die amerikanischen Spürhunde geweckt. Amerika hat plötzlich ein neues Anlagethema gefunden: In Anlageausschusssitzungen großer Kapitalsammelstellen wird laut darüber nachgedacht, ob die eigentlich nie hinterfragte Liebe zu deutschen Industriewerten noch berechtigt ist. Dabei geht es nicht nur um die Höhe von Strafzahlungen, Gewährleistungsansprüche gegen VW und mögliche Kollateralschäden bei Zulieferern, anderen deutschen Autobauern, Arbeitsplätzen oder sogar auf die Volkswirtschaft insgesamt. Tatsächlich lässt die Krise eines einzelnen Aktientitels angelsächsische Anleger darüber sinnieren, ob der Aktienindex DAX noch genügend Spielstärke hat, der ihn als Mitspieler in der internationalen Champions League berechtigt.

Die internationale Anlagewelt unterzieht die deutsche Industriekultur sozusagen einem TÜV-Test

Über Nacht scheint sich das große angelsächsische Kapital zu überlegen, ob der zyklische DAX-Index nicht eher der old economy zuzuordnen ist. Jetzt wird auf einmal bemängelt, dass es ihm an new economy fehlt. Ja, tatsächlich könnte man ins Grübeln kommen, wenn man bedenkt, dass die zwei amerikanischen Zukunftsfirmen Apple und Google mehr wert sind als der gesamte DAX zusammen. Wo sind denn unsere deutschen digitalen Zukunftsunternehmen? Ja, sicherlich findet man unsere Chemie- und Pharmafirmen erstklassig. Doch wo - so wird frevelhaft weiter gefragt - sind die aufstrebenden Biotech-Firmen, denen Pharma- und Chemie-Zukunft gehören? Die tummeln sich eher in Amerika und Asien. Tatsächlich müssen wir hierbei in Deutschland von Deflation sprechen.

Leidet der Leitindex DAX unter mangelnder industrieller Leitkultur?

Droht dem DAX also im Vergleich zu anderen, z.B. amerikanischen Indices ein Bewertungsabschlag, sozusagen ein Risikoaufschlag? Ist die Jahresend-Rallye also abgesagt? Nicht so schnell! Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass die Anleger im Oktober noch das große Reinemachen in Sachen deutscher Aktien betreiben. Die Anlegerwunden werden sozusagen geleckt. Das wird den DAX zunächst noch sehr schwankungsintensiv halten. Aber mir ist es lieber, es kommt jetzt alles - China, Schwellenländer, VW, vermeintliche US-Zinswende - zeitgleich auf den Tisch als langes Aktien-Siechtum. Da muss der DAX jetzt durch.

Aber die Weltwirtschaft wird nicht zusammenbrechen. Konjunkturstimulierende Maßnahmen werden insbesondere in Asien ergriffen. Die müssten dumm wie Bohnenstroh sein, wenn sie jetzt diesen Kontinent auch nur annähernd in Richtung einer Asien-Krise 2.0 abdriften ließen. Sind sie aber nicht. Und wer deutsche Industriegüter und auch den dazugehörige Service mit der Konkurrenz vergleicht, weiß, dass Made in Germany nicht untergehen wird. Ja, VW wird sich einer scharfen Zäsur unterziehen müssen. Dividendenstreichungen, eine Kapitalerhöhung, die Abgabe auch heiß geliebter Unternehmensteile sind möglich. Aber egal, was in Wolfsburg oder in der deutschen Autoindustrie passiert, das politische und unternehmerische Deutschland wird gemeinsam die deutsche Autokultur aufrechterhalten. Das sollte im Übrigen niemand für verwerflich halten, das passiert in anderen Ländern regelmäßig, ohne dass dort die Nase gerümpft wird. Schauen Sie nach Frankreich, Großbritannien oder in die USA.

Im November und Dezember werden sich die Wogen wieder geglättet haben und der DAX wieder steigen. Die Jahresend-Rallye ist also nicht abgesagt, auch wenn sie weniger schwungvoll verlaufen wird als bislang erwartet. 10.600 Punkte sind drin. Immerhin kann jetzt niemand mehr von einer technischen Überkauft-Situation sprechen.

Übrigens, der MDAX als Sammelbecken besonders zyklischer Aktien läuft dem DAX deutlich den Rang ab. Das sollte uns zeigen, dass die industrielle Leitkultur in Deutschland sehr lebendig ist.

Für Häme seitens angelsächsischer Anleger besteht kein Anlass. Für deutsche Aktien gilt: Vor dem Morgen ist die Nacht am schwärzesten.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: http://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128 Hinzufügen

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