Angeklagter Manager - Wirecard war "Krebsgeschwür"

Reuters · Uhr
Quelle: (c) Copyright Thomson Reuters 2022. Click For Restrictions - https://agency.reuters.com/en/copyright.html

München (Reuters) - Im Betrugsprozess um die milliardenschwere Pleite des Finanzkonzerns Wirecard hat der angeklagte Manager Oliver Bellenhaus Anschuldigungen gegen den ehemaligen Chef Markus Braun erhoben.

Wirecard sei ein "Krebsgeschwür, das lange unentdeckt wucherte", sagte er am Montag vor dem Landgericht München. Er bezeichnete das Unternehmen als System der Unterwürfigkeit. Braun habe als "absolutistischer CEO" gehandelt. Er sei der Kern gewesen, auf den alles ausgerichtet gewesen sei. Bellenhaus sprach von "Hasardeuren, Kriminellen und Verrätern". "Ich schließe mich dem bewusst an. Eine blinde Loyalität gegenüber Braun und Marsalek hat mich ins Gefängnis gebracht."

Wirecard sei 20 Jahre lang seine Identität gewesen, sagte Bellenhaus. "Kleine Lügen wurden zu großen Lügen, große Lügen werden bestraft." Das System sei von Anfang an ein Schwindel gewesen. In seiner 100-seitigen Aussage zeichnete der 49-Jährige nach, wie Bilanzen geschönt und Umsätze erfunden wurden. Braun sei getrieben gewesen davon, die Umsatzzahlen ins Unermessliche steigen zu lassen, sein Gradmesser sei der Aktienkurs gewesen. Dabei habe er unwahrscheinliches Glück gehabt. Braun und dem flüchtigen Mit-Vorstand Jan Marsalek sei alles gelungen. Sich selbst bezeichnete Bellenhaus als "Rainmaker von Wirecard".

BELLENHAUS - BIN ERSCHROCKEN ÜBER EIGENES WESEN

Im Gerichtssaal in München hatten Bellenhaus und Braun den Platz getauscht. Bellenhaus, in grauem Anzug mit Krawatte, saß vor seinem ehemaligen Chef, der wie immer mit schwarzem Rollkragenpullover und dunkelblauem Anzug kam. Er entschuldigte sich zu Beginn seiner Erklärung. Es falle nicht leicht, die Verantwortung zu übernehmen, sagte Bellenhaus. Er bedauere die Vorwürfe, nicht nur wegen der Konsequenzen für ihn und seine Familie, sondern auch wegen der Geschädigten. "Ich bin erschrocken über mein eigenes Wesen."

Bellenhaus war Statthalter von Wirecard in Dubai und steuerte von dort aus das Drittpartnergeschäft in Asien zum Teil. Er räumte ein, Protokolle und E-Mails gefälscht zu haben. Mit Protokollen sei eine Dokumentenlage geschaffen worden, die einzig und allein darauf abgezielt habe, den Wirtschaftsprüfern von KPMG den Eindruck zu verschaffen, dass die Unterlagen geprüft worden seien. Die Protokolle seien genutzt worden, um Fehler zum Jahresende zu korrigieren. Prognosen seien nicht zu Jahresbeginn erstellt, sondern zum Jahresende hin angepasst worden.

Bellenhaus gilt in dem Prozess als Kronzeuge. Er hatte sich bereits kurz nach der Pleite von Wirecard im Sommer 2020 den Münchner Behörden gestellt und gegenüber der Staatsanwaltschaft umfassend ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage auch auf seine Angaben zum sogenannten Drittpartnergeschäft in Asien, das er von Dubai aus zum Teil gesteuert hat. Laut Bellenhaus und Staatsanwaltschaft waren die Geschäfte erfunden. Vorstandschef Markus Braun beharrt darauf, dass es sie gegeben hat und das Geld von anderen Beteiligten beiseite geschafft wurde.

Anwälte des 49-Jährigen hatten für ein Geständnis ihres Mandanten vor Gericht einen Strafnachlass und seine Entlassung aus der Untersuchungshaft verlangt. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft hatten dies abgelehnt. Bellenhaus sitzt seit knapp zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

BRAUNS ANWALT - FLUT AN UNTERLAGEN UND DATEN

Brauns Anwalt Alfred Dierlamm forderte unterdessen erneut die Aussetzung des Verfahrens und warf der Staatsanwaltschaft am dritten Verhandlungstag vor, Parallelermittlungen zu führen und Unterlagen nach "Gutdünken" zur Verfügung zu stellen. Die Verfahrensbeteiligten würden weiterhin mit Unterlagen und Daten "überflutet", sagte Dierlamm. Er sprach von hochgerechnet 19.000 Seiten Ermittlungsakten, welche die Verteidigung zwei Tage vor der Vernehmung von Bellenhaus erhalten hättne. Die Ermittlungen, die parallel geführt würden, seien ein "Fass ohne Boden". Der Aufschub der Ermittlungen habe nur dem Zweck gedient, die Frist des Oberlandesgerichts zur Anklageerhebung einzuhalten: "Es durfte unter keinen Umständen die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Untersuchungshaft von Markus Braun gefährdet werden." Der Richter Markus Födisch sagte, er werde in diesem Jahr nicht mehr über den Aussetzungsantrag entscheiden.

(Bericht von Christina Amann, redigiert von Myria Mildenberger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter Berlin.Newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder Frankfurt.Newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

Neueste exklusive Artikel