Regierungschef Bayrou reicht in Paris Rücktritt ein - Rätselraten um Nachfolger

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Paris (Reuters) - Frankreichs Ministerpräsident François Bayrou hat seinen Rücktritt eingereicht.

Das wurde auf der Internetseite der Regierung mitgeteilt. Der Zentrist zog damit nach nur neun Monaten im Amt am Dienstag die Konsequenz aus einer verlorenen Vertrauensabstimmung im Parlament. Diese hatte er zu Wochenbeginn selbst im Streit über die Haushaltspolitik des Euro-Landes gestellt. Das Heft des Handelns liegt nun bei Präsident Emmanuel Macron. Er muss dringend einen Nachfolger bestimmen, um das hoch verschuldete Land aus der tiefen politischen Krise zu führen. Der Elysee-Palast hat die Ernennung eines neuen Regierungschefs binnen Tagen angekündigt - es wäre der fünfte in weniger als zwei Jahren.

In der von Polarisierung geprägten politischen Landschaft Frankreichs hat sich nunmehr eine Bürgerbewegung formiert, die unter der Parole "Bloquons tout" (Lasst uns alles blockieren) für Mittwoch landesweite Proteste plant. Sie hat ihre Wurzeln in den sozialen Medien und weckt Erinnerungen an die Gelbwestenbewegung, die Ende 2018 und Anfang 2019 gegen die Politik von Präsident Macron mobil machte. Auslöser war damals die geplante höhere Besteuerung von Diesel. Nun regt sich angesichts der politischen Dauerkrise im Land erneut Unmut gegen den mit sinkenden Popularitätswerten kämpfenden Präsidenten. Der Staat rüstet sich mit einem Großaufgebot von 80.000 Polizisten gegen die Protestaktionen, an denen bis zu 100.000 Menschen teilnehmen könnten. Es wird befürchtet, dass der Betrieb an Flughäfen, Bahnhöfen und der Verkehr auf Schnellstraßen mit Blockaden oder Sabotageakten gestört werden. Die Gewerkschaften haben außerdem für den 18. September zu Streiks und Protesten aufgerufen.

NÄCHSTER MINISTERPRÄSIDENT AUS LINKEM LAGER?

Bayrous konservativer Vorgänger Michel Barnier war nur gut drei Monate im Amt. Nun muss sich Präsident Macron erneut einen neuen Regierungschef suchen. Beobachter gehen davon aus, dass Macron sich möglicherweise eher dem linken Parlamentsspektrum zuwenden könnte.

In Regierungskreisen kursierten zuletzt mehrere Namen für die Nachfolge Bayrous: Finanzminister Eric Lombard, der sozialistische Ex-Ministerpräsident Bernard Cazeneuve und der Chef des Rechnungshofs, Pierre Moscovici – ebenfalls ein Sozialist und ein ehemaliger EU-Kommissar. Auch Verteidigungsminister Sebastien Lecornu gilt als ein möglicher Kandidat für den Chefposten der Regierung. Das linke Lager hat bereits den Finger gehoben: "Ich hätte es gern, wenn die Linke, die Grünen an der Macht wären. Wir müssen die Macht übernehmen", sagte der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, dem Radiosender France Inter.

Macron hatte nach den Verlusten seiner Allianz bei den Europawahlen im Juni 2024 das Parlament aufgelöst. Doch die vorgezogene Neuwahl hat zu einer noch tieferen Spaltung der Nationalversammlung geführt und die politische Krise Frankreichs verschärft. Macron hat Forderungen der extrem rechten und linken Parteien - Rassemblement National und Unbeugsames Frankreich ("La France Insoumise") - nach Auflösung des Parlaments zurückgewiesen.

HOHE SCHULDENLAST

Frankreich drückt eine hohe Schuldenlast: Die Staatsverschuldung ist auf 113,9 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen. Und das Defizit war voriges Jahr fast doppelt so hoch wie die von der EU festgelegte Drei-Prozent-Grenze. Bayrou war mit seinem Versuch gescheitert, einen Haushalt für 2026 zu verabschieden, der Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro vorsieht.

KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher befürchtet, das Frankreich politisch nicht so schnell in ruhigeres Fahrwasser gelangen wird: "Im Moment ist schwer vorstellbar, wie sich - mit oder ohne Neuwahlen - eine neue Regierung bilden kann, die einen ernsthaften Konsolidierungskurs verfolgen könnte." Es brauche vermutlich deutlich mehr Druck von den Finanzmärkten, durch höhere Zinsen, bevor sich "eine Koalition der Willigen" finden werde. Bis dahin werde die Nervosität an den Finanzmärkten hoch bleiben.

Die Marktreaktion auf den Sturz des Ministerpräsidenten fiel zwar relativ verhalten aus, da damit gerechnet worden war, dass Bayrou bei der Vertrauensabstimmung durchfalen würde. Doch richtet sich die Aufmerksamkeit der Anleger bereits auf den Freitag: Dann wird die Ratingangentur Fitch die Bonität Frankreichs überprüfen, die derzeit mit der Note AA- und einem negativen Ausblick versehen ist.

Auch in der deutschen Politik macht sich Sorge wegen der politischen Krise im Nachbarland breit: "Die Wirtschaftslage, auch die Finanzlage Frankreichs, ist in der Tat dramatisch", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Armin Laschet (CDU). Der außenpolitische Sprecher der CSU im Bundestag Alexander Radwan betonte, ein handlungsfähiges und stabiles Frankreich sei für die EU unverzichtbar: "Präsident Macron ist eine glückliche Hand bei der Suche nach einem schnellen Ausweg aus der Regierungskrise nur zu wünschen."

(Bericht von Dominique Vidalon, Benoit Van Overstraeten, geschrieben von Reinhard Becker, redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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