Brexit: Theresa Mays mögliche Nachfolger/innen haben sich positioniert – Wer möchte wie aus der EU?
Ein knappes Dutzend Tories hat sich für die Nachfolge der scheidenden Premierministerin Theresa May in Stellung gebracht. Am kommenden Montag können die Kandidaten – neun Männer und zwei Frauen – nominiert werden. In ihrem Erfahrungsschatz und in ihrer Haltung zum Brexit unterscheiden sich die Kandidaten stark. Der Sieger des mehrstufigen Prozesses soll bis Ende nächsten Monats feststehen und wird May dann auch an der Regierungsspitze ablösen. Wer wird das Rennen wohl machen?
BORIS JOHNSON: Der Brexit-Hardliner Boris Johnson, der auch vor einem ungeregelten EU-Austritt nicht zurückschrecken würde, gilt derzeit als Favorit. Er ist wortgewandt und Liebling der Parteimitglieder, doch in seiner Zeit als Außenminister stapfte er in etliche Fettnäpfchen. Seinen Posten gab er schließlich auf – aus Protest gegen Mays Brexit-Kurs. Viele trauen ihm zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Ärgerlich für den Ex-Bürgermeister von London: Er muss sich wegen angeblich falscher Angaben, wie viel Geld Großbritannien pro Jahr an die EU zahlen muss, vor Gericht verantworten. Das könnte ihn Stimmen kosten.
JEREMY HUNT: Außenminister Jeremy Hunt hat eine Wandlung vom EU-Befürworter zum Brexit-Anhänger durchgemacht. Viele glauben, dass er sich damit schon in Position bringen wollte für die May-Nachfolge. Als Außenminister gelang es ihm, die europäischen Verbündeten mit ähnlich provokativen Stellungnahmen gegen sich aufzubringen wie sein Vorgänger Boris Johnson. Bei einer Parteitagsrede verglich er die EU mit der Sowjetunion. Vor allem aus den osteuropäischen Mitgliedsstaaten handelte er sich damit wütende Reaktionen ein.
MICHAEL GOVE: Umweltminister Michael Gove gilt als bestens vernetzt, nicht nur im britischen Parlament, sondern auch bei den Mächtigen in der Welt der Medien. Als er nach einem gescheiterten Versuch, Premierminister zu werden, kurzzeitig auf den hinteren Bänken im Parlament Platz nehmen musste, verdingte er sich nebenberuflich als Journalist. Gove gilt als Protegé des US-Medien-Moguls und Trump-Verbündeten Rupert Murdoch. Kritiker sehen in ihm einen politischen Wendehals, der seine Ambitionen skrupellos verfolgt.
RORY STEWART: Er gilt im Rennen um Mays Nachfolge als äußerst kompetent, bleibt nach Einschätzung britischer Medien allerdings ein Außenseiter: Entwicklungshilfeminister Rory Stewart, der ein bisschen Ähnlichkeit mit Rocksänger Mick Jagger in jungen Jahren hat, ist eigentlich ein EU-Anhänger. Er akzeptiert jedoch das Ergebnis des Brexit-Referendums. Einen ungeregelten Austritt aus der EU lehnt Stewart kategorisch ab und will mit Bürgerbeteiligung einen Brexit-Kompromiss ausarbeiten. Sollte er Premierminister werden, möchte er den Klimaschutz verstärken. Stewart ist ein Tausendsassa: Er verfasste mehrere Bücher, unterrichtete privat die Prinzen William und Harry, spricht mehrere Sprachen und arbeitete auch als Diplomat.
SAJID JAVID: Der ehrgeizige Innenminister Sajid Javid wechselte nach dem Referendum auf die Seite der Brexit-Befürworter. Als Sohn eines pakistanischstämmigen Busfahrers verkörpert er den Traum vom sozialen Aufstieg in einer stark durch Klassendenken geprägten Gesellschaft. Erfahrungen in der Finanzwelt sammelte er in der Managementebene der Deutschen Bank. In der Debatte um die Rückkehr einer in Großbritannien aufgewachsenen IS-Frau, die mit ihrem Baby in einem Flüchtlingslager in Syrien festsaß, zeigte er Härte und entzog ihr die Staatsbürgerschaft. Als das Kind starb, hagelte es Kritik.
DOMINIC RAAB: Der ehrgeizige Jurist Dominic Raab gilt als Brexit-Hardliner und hatte schon mehrere Posten in der Regierung. Sein Amt als Brexit-Minister gab er nach nur wenigen Monaten aus Protest gegen den Vertragsentwurf zum EU-Austritt auf. Nicht immer machte er als Brexit-Minister eine glückliche Figur: So handelte er sich mit einer Äußerung zum Handel zwischen Großbritannien und dem Kontinent heftigen Spott ein. Ihm sei das volle Ausmaß der Bedeutung des Ärmelkanals für die Wirtschaft nicht klar gewesen, hatte Raab bei einer Konferenz gesagt. Die Strecke Dover-Calais ist die wichtigste Verbindung zwischen Großbritannien und dem Festland.
ANDREA LEADSOM: Nach dem Brexit-Referendum und dem Rücktritt von David Cameron 2016 war Andrea Leadsom – neben May – in die engere Auswahl als Parteichefin gekommen. Sie musste sich aber wegen einer unglücklichen Äußerung aus dem Rennen zurückziehen. Später wurde die Brexit-Hardlinerin von Premierministerin May als Ministerin für Parlamentsfragen ins Kabinett geholt. Ende Mai trat Leadsom aus Protest gegen Mays Brexit-Politik von ihrem Posten zurück – und beschleunigte damit womöglich den Abschied ihrer einstigen Rivalin.
MATT HANCOCK: Gesundheitsminister Matt Hancock lehnt einen Brexit ohne Deal ab. Ihm werden im Rennen um die Nachfolge von May allerdings wenig Chancen eingeräumt. Er selbst hebt in Interviews seine Energie und Durchsetzungskraft hervor.
SAM GYIMAH: Der frühere Hochschul-Staatssekretär Sam Gyimah setzt sich für ein zweites Brexit-Referendum ein. Er gilt allerdings als chancenlos.
ESTHER MCVEY: Aus Protest gegen Mays Brexit-Kurs legte Arbeitsministerin Esther McVey ihr Amt nieder. Sie besteht darauf, dass Großbritannien am 31. Oktober die EU verlassen muss – und nimmt dafür auch einen ungeregelten Austritt in Kauf.
MARK HARPER: Obwohl er ein EU-Freund ist, akzeptiert Mark Harper das Brexit-Referendum. Er selbst sieht sich im Rennen um Mays Nachfolge als Außenseiter. Harper wäre für eine kurze Verlängerung der Austrittsfrist über den 31. Oktober hinaus. Falls das nicht möglich sei, würde er auch einer Loslösung von der EU ohne Deal zustimmen.
onvista/dpa-AFX
DAS WICHTIGSTE DER BÖRSENWOCHE – IMMER AM WOCHENENDE PER E-MAIL
Zum Wochenende die Top Nachrichten und Analysen der Börsenwoche!
Foto: Drop of Light / Shutterstock.com