Unter der Oberfläche passiert an der Wall Street gerade etwas Großes

Bernd Schmid · Uhr (aktualisiert: Uhr)

„Das reale BIP-Wachstum der USA ist in diesem Jahr schwächer als im letzten Jahr. Aus der Wirtschaft kommen weitere Warnsignale und die Zinskurve ist invertiert. Der Vorsitzende der amerikanischen Notenbank sieht jedoch kein Rezessionsrisiko und rechnet weiterhin mit positivem Wachstum. Am 18. September wurde der Leitzins trotzdem leicht gesenkt. Auch der amerikanische Aktienmarkt bleibt unbeeindruckt und ist nach einer kleinen Korrektur auf dem Weg zu neuen Höhen im September.“

Dieser Absatz trifft nicht nur auf das Hier und Jetzt im Jahr 2019 zu. Er hätte im Jahr 2007 Wort für Wort ganz genauso veröffentlicht werden können (inklusive des Datums der Leitzinssenkung).

Klingt angsteinflößend, denn wir alle wissen, was unmittelbar danach passierte. Die US-Börsen markierten ihr Hoch im Oktober, danach ging es steil bergab. Auch die reale Wirtschaft schlitterte in eine große Rezession (keine drei Monate nachdem der Chef der Notenbank „kein Rezessionsrisiko“ sah).

Darüber sendet der Repo-Markt gerade ganz merkwürdige Zeichen. Der Repo-Markt wird von Finanzinstitutionen genutzt, um sich gegen die Abgabe von Sicherheiten (wie zum Beispiel die eigenen Staatsanleihen) oft über Nacht Cash für ihre Handelsaktivitäten zu leihen. Der Zinssatz dafür war in diesem Jahrtausend immer unter 8 % und seit der Finanzkrise bis zum Beginn der US-Leitzinserhöhungen in der Regel weit unter 1 %.

Am vergangenen Dienstag schoss dieser Zinssatz in die Höhe. Das Angebot an kurzfristiger Liquidität war so gering, dass sich der Zinssatz fast vervierfachte auf mehr als 8 %. Die Federal Reserve musste sogar einspringen und Liquidität in Höhe von mehr als 50 Milliarden Euro in den Repo-Markt pumpen.

Ich habe ehrlich gesagt gar keine Ahnung, was all das zu bedeuten hat. Die positive Nachricht ist, dass es für langfristig orientierte Aktienanleger (was hoffentlich die meisten Leser sind) keinen Handlungsbedarf bedeutet. Es dürfte aber auf jeden Fall gerade für einige Akteure an der Wall Street ungemütlich werden.

In diese Richtung passiert gerade noch etwas, das noch viel weniger Leute auf dem Schirm haben dürften. Es hat jedoch - zumindest laut Patrick Byrne, Gründer und Ex-CEO des Internethändlers und Blockchain-Pioniers Overstock - elementar mit einem der Probleme zu tun, die zu der großen Finanzkrise im letzten Jahrzehnt führten.

Dieses Problem liegt im Settlement von Wertpapieren. Dieses ist in den USA so konstruiert, dass unter anderem Aktien leer verkauft werden können, ohne dass man sich diese vorher geliehen hat. Am Ende des Prozesses kann Verwirrung im System entstehen. Denn dadurch scheinen mehr Aktien eines Unternehmens im Umlauf zu sein, als es eigentlich gibt und man weiß nicht immer, wer nun welche Aktien leerverkauft hat.

Das klingt nun nicht so arg schlimm. Bestimmte Akteure an der Wall Street machen sich dies laut Byrne jedoch für den eigenen Profit zunutze. Im besten Fall führe dies nur dazu, dass die zusätzlichen Aktien die Stimmabgabe bei Wahlen der Aktionäre verfälschen. Im schlimmsten Fall kann es (und hat es laut Byrne auch) zu Kursmanipulationen führen, die das Ende eines Unternehmens bedeuten, das andernfalls hätte überleben können (hier erklärt Byrne diese Dinge im Detail).

Die Sache ist, dass dies eigentlich verboten ist. Trotzdem scheint die Einhaltung der Regeln in diesem Fall nicht erzwungen zu werden.

Byrne stört das. Sehr. Die Lösung dafür wurde jedoch bereits entwickelt - von tzero, einer Tochtergesellschaft von Overstock. Diese hat sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als die Kapitalmärkte zu revolutionieren. Und sie hat dafür bereits die richtige Plattform auf Basis der Blockchain-Technologie nicht nur entwickelt, sondern auch in Betrieb genommen.

Und dort wird es gerade sehr spannend. Denn Byrne bzw. Overstock ist gerade dabei, der Welt zu zeigen, dass dieses Problem am Kapitalmarkt wirklich existiert (in der Öffentlichkeit wird sehr wenig darüber diskutiert und es scheint noch viel weniger bekannt zu sein) - und dürfte dabei ziemlich Dampf unter den Hintern einiger Wall-Street-Akteure machen.

Das Ganze funktioniert so. Overstock hat zwei Klassen von Aktien. Eine „normale“, die an den normalen Börsen gekauft werden kann. Und eine zweite, eine Vorzugsaktie. Diese existiert jedoch ausschließlich auf der digitalen Blockchain-Plattform von tzero. Der Clue: Overstock wird an alle Aktionäre, die am 23. September Besitzer von „normalen“ Overstock-Aktien sind, eine digitale Dividende ausschütten. Für 10 normale Aktien erhält der Inhaber eine digitale Aktie.

Nun haben die Leerverkäufer ein Problem. Diese müssten nämlich diese digitale Dividende an diejenigen Overstock-Aktionäre ausschütten, an die sie „ihre“ geliehenen (oder eben auch nicht) Overstock Aktien verkauft haben. Das können sie nur, wenn sie diese digitale Overstock-Vorzugsaktie auf der tzero-Plattform erwerben.

Das wäre dann kein Problem, wenn nur wenige Aktien von Overstock leerverkauft wären. Dann könnte es auf der tzero-Plattform ausreichend digitale Aktien zu erwerben geben, um dieser Pflicht nachzukommen. Die Wahrscheinlichkeit dürfte jedoch gegen 100 Prozent gehen, dass dies nicht der Fall ist. Denn Overstock ist aktuell eine sehr stark leerverkaufte Aktie. Und auf der Blockchain-basierten Plattform von tzero ist es eben nicht mehr wie im aktuellen „normalen“ System möglich, einfach eine Aktie leerzuverkaufen, die man sich nicht vorher geliehen hat.

Nun scheint es laut Byrne so zu sein, dass einige Leerverkäufer eine Information von ihren Brokern erhalten haben, dass die SEC es Leerverkäufern erlauben wolle, einen Barausgleich anstatt der digitalen Dividende zu leisten. Das hingegen wäre jedoch wieder ein Verstoß gegen die Regeln. Denn die Overstock-Aktionäre haben ein Recht auf die digitale Dividende.

Wird den Leerverkäufern (die illegale Geschäfte betreiben) wirklich eine Möglichkeit eingeräumt, wieder fein aus dieser Sache herauszukommen, ohne die bestehenden Regeln zu befolgen? Das wäre ein ziemlich direkter Schlag in das Gesicht all derjenigen, die glauben, dass Regulierungen dafür sorgen, dass es an der Börse mit rechten Dingen zugeht. Es würde offenbaren, dass etwas nicht stimmt - wie Byrne es schon vor fast 15 Jahren begann zu lamentieren, was aber immer abgetan wurde.

Das Ganze hört sich zu abgehoben an, nach einem schlechten Film. Es spielt sich jedoch gerade jetzt in der Realität ab. Wie diese Geschichte ausgehen wird, ist ziemlich spannend. In jedem Fall dürfte aktuell einigen Akteuren an der Wall Street ein ziemlich rauer Wind um die Ohren wehen.

Offenlegung: Bernd Schmid besitzt Aktien von Overstock. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.

Foto: Rawpixel.com / Shutterstock

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