DIHK fürchtet größte Wirtschaftskrise seit 20 Jahren

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- von Christian Krämer

Berlin (Reuters) - In Deutschland braut sich laut Industrieverband DIHK die größte Wirtschaftskrise seit mehr als 20 Jahren zusammen.

Erst zum zweiten Mal in der Nachkriegsgeschichte dürfte es wieder eine Phase von zwei aufeinanderfolgenden Jahren mit schrumpfender Wirtschaftsleistung geben. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben forderte die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP am Donnerstag in Berlin auf, ein beherztes Maßnahmenpaket zur Stärkung des Standorts zu schnüren und das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen.

Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach bei einem Besuch des Microsoft-Standorts in Berlin der Darstellung einer Krise und verwies auf angekündigte Großinvestitionen. Nach Konzernen wie Intel und TSMC kündigte Microsoft an, in Deutschland 3,2 Milliarden Euro in den Ausbau Künstlicher Intelligenz (KI) investieren zu wollen. Der US-Technologieriese erklärte die Pläne auch mit einer guten Arbeit der Bundesregierung, die in Umfragen der Bevölkerung zuletzt viel Vertrauen verloren hat.

"DEUTLICHES ALARMZEICHEN"

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) erwartet nach einer Befragung von über 27.000 Unternehmen aus allen Branchen und Regionen, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,5 Prozent schrumpft. 2023 ging es bereits um 0,3 Prozent zurück. "Das ist ein deutliches Alarmzeichen", sagte Wansleben. "Die schlechte Stimmung der Unternehmen verfestigt sich." Zwar gab es 2009 wegen der globalen Finanzkrise und 2020 wegen der Corona-Lockdowns deutlich stärkere Einbrüche. Aber nur 2002 und 2003 schrumpfte die Wirtschaft zwei Jahre in Folge. Damals reagierte die rot-grüne Regierung mit der "Agenda 2010" - weitreichenden Arbeitsmarkt- und Sozialreformen. Leistungen des Staates wurden gekürzt, der Kündigungsschutz gelockert, Leiharbeit erleichtert. Viele Ökonomen halten die damaligen Strukturreformen für den Hauptgrund der mittlerweile wesentlich geringeren Arbeitslosenquote sowie einer langen Phase mit vergleichsweise hohen Wachstumsraten.

Wansleben sagte, die jetzige Ampel-Regierung müsse sich den Problemen stellen und sofort loslegen. "Die Krise ist da." Es müsse alles getan werden, was Unternehmen das Leben erleichtere, ohne gleichzeitig die Inflation anzuheizen. Zum Beispiel könne viel deutlicher Bürokratie abgebaut werden. "Das deutsche Lieferkettengesetz muss jetzt ausgesetzt werden." Das Gesetz nimmt größere Betriebe für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht.

Innerhalb der Bundesregierung hatten Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Standort zuletzt als nicht mehr wettbewerbsfähig bezeichnet - allerdings sehr unterschiedliche Lösungen dafür angeboten. SPD-Politiker Scholz warnt dagegen immer wieder davor, eine Krise herbeizureden. "Investitionen hier sehen wir gegenwärtig im großen Umfang", sagte der Kanzler in Berlin und verwies auf die Bereiche Batterien, Autos, Chips und Pharma. Von den angekündigten Microsoft-Investitionen würden weitere KI-Firmen profitieren.

MICROSOFT LOBT REGIERUNG - IFO SIEHT HAUSGEMACHTE PROBLEME

Microsoft-Präsident Brad Smith lobte Deutschland, weil es bei der KI-Nutzung weltweit auf Platz zwei stehe. "Dies zeigt, dass die Einführung von KI in deutschen Unternehmen, ob groß oder klein, in der gesamten Wirtschaft sehr schnell voranschreitet." Die geplanten Rechenzentren im Rheinland und im Rhein-Main-Gebiet sollten mit Ökostrom betrieben werden, deren Ausbau die Bundesregierung vorantreibe. Die Investition - Microsofts höchste in Deutschland seit 40 Jahren - sei ein Vertrauensbeweis auch in Scholz und die Regierung, so Smith.

Der Kanzler erklärte die aktuelle Schwäche Deutschlands vor allem mit der lahmenden Weltwirtschaft, unter der die hiesige Exportindustrie leide. "Die Wachstumsschwäche lässt sich nicht nur mit Faktoren erklären, die von außen kommen, sondern auch mit hausgemachten Problemen", sagte dagegen der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der "Rheinischen Post". Dazu gehöre die hohe Unsicherheit über den weiteren Kurs in der Wirtschafts- und Klimapolitik. "Ein zentrales Problem liegt darin, dass die Bundesregierung keine überzeugende mittelfristige Wachstumsstrategie hat." Die Ampel müsse ihre internen Differenzen überwinden, Steuern für Unternehmen senken, Bürokratie abbauen und öffentliche Investitionen steigern.

Lindner zufolge will die Ampel bis zum Frühjahr ein Konzept zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts vorlegen. Die Grünen plädieren für ein über Schulden finanziertes Sondervermögen für Investitionen, während die FDP auf Steuererleichterungen und Bürokratieabbau setzt. Die SPD will Einschnitte im Sozialbereich verhindern.

Die Bundesregierung wird nächste Woche offiziell ihre Wachstumsprognose für 2024 von 1,3 auf nur noch 0,2 Prozent senken. Habeck sagte in Jena, in keinster Weise seien 0,2 Prozent befriedigend. Der Finanzminister nannte die neue Prognose am Mittwochabend "peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich". Deutschland werde damit wieder in der Schlussgruppe der Industriestaaten landen. "Wenn wir nichts tun, wird unser Land zurückfallen. Dann wird Deutschland ärmer."

Innerhalb Europas ist Deutschland weiter der Bremsklotz. Die EU-Kommission rechnet 2024 mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in der Euro-Zone von 0,8 statt bisher 1,2 Prozent. Die Prognose für Deutschland liegt bei 0,3 Prozent, so niedrig wie für kein anderes Euro-Land. Im Herbst hatte die Brüsseler Behörde noch ein Plus von 0,8 Prozent veranschlagt.

(Mitarbeit von Hakan Ersen, Andreas Rinke, Alexander Ratz, Holger Hansen und Markus Wacket. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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