Gaza-Waffenruhe in Kraft - Israel beginnt mit Truppenabzug

- von Alexander Cornwell und Nidal al-Mughrabi
Jerusalem/Kairo (Reuters) -Nach Inkrafttreten einer Waffenruhe zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas sind am Freitag Tausende vertriebene Palästinenser in ihre verlassenen Heimatorte zurückgeströmt. Eine riesige Menschenkolonne bewegte sich durch Schutt und Staub nach Norden in Richtung Gaza-Stadt, nachdem die israelische Armee mit dem Rückzug aus Teilen des Küstenstreifens begonnen hatte. Die Freude über das Ende der Kämpfe war jedoch von dem Ausmaß der Zerstörung nach zwei Jahren Krieg überschattet. "Gott sei Dank steht mein Haus noch", sagte der 40-jährige Ismail Sajda. "Aber der Ort ist zerstört, die Häuser meiner Nachbarn sind zerstört, ganze Stadtteile sind verschwunden."
Das israelische Militär teilte mit, die Waffenruhe sei um 12.00 Uhr Ortszeit (11.00 Uhr MESZ) in Kraft getreten. Binnen 24 Stunden muss sie der Vereinbarung zufolge umgesetzt sein. Die erste Phase der von US-Präsident Donald Trump vermittelten Initiative sieht vor, dass die israelischen Truppen sich aus den großen städtischen Gebieten des Gazastreifens zurückziehen, aber weiterhin etwa die Hälfte des Küstengebiets kontrollieren. Das israelische Militär rief die Bewohner auf, die von der Armee kontrollierten Gebiete zu meiden. "Halten Sie sich an die Vereinbarung und sorgen Sie für Ihre Sicherheit", sagte ein Militärsprecher.
Zudem erklärte das israelische Militär, die Hamas sei nicht mehr die starke militante Gruppe, deren Überfall auf Israel den zweijährigen Krieg ausgelöst habe. "Die Hamas ist an jedem Ort besiegt worden, an dem wir gegen sie gekämpft haben", sagte Militärsprecher Effie Defrin. Dem Abkommen zufolge soll die Hamas innerhalb von 72 Stunden nach Inkrafttreten der Waffenruhe die 20 noch lebenden israelischen Geiseln freilassen. Danach will Israel 250 Palästinenser, die lange Haftstrafen verbüßen, sowie 1700 weitere, die während des Krieges festgenommen wurden, freilassen.
"IM LICHT DER ENTWICKLUNGEN VOR ORT"
Trotz der Waffenruhe bleiben die Positionen der Konfliktparteien verhärtet. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte, die israelischen Truppen würden im Gazastreifen bleiben, um sicherzustellen, dass das Gebiet entmilitarisiert und die Hamas entwaffnet werde. Der im Exil lebende Hamas-Chef für den Gazastreifen, Chalil al-Haja, erklärte hingegen, er habe von den USA und anderen Vermittlern Garantien erhalten, dass der Krieg vorbei sei. Bislang weigert sich die militante Palästinenser-Organisation, ihre Waffen abzugeben.
Die Waffenruhe wurde international begrüßt. Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte umfassende Hilfe aus Deutschland bei der Umsetzung des Plans an. Das Hilfspaket umfasse unter anderem eine sofortige humanitäre Hilfe in Höhe von 29 Millionen Euro. Merz betonte jedoch, dass sich für Deutschland die Frage einer militärischen Beteiligung an der geplanten internationalen Stabilisierungsmission nicht stelle. Man wolle aber helfen, den rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen. Zudem stellte er eine Überprüfung der eingeschränkten Rüstungslieferungen an Israel "im Licht der Entwicklungen vor Ort" in Aussicht.
US-Präsident Trump kündigte an, am Sonntag in die Region zu reisen, um möglicherweise an einer Unterzeichnungszeremonie in Ägypten teilzunehmen. Der israelische Parlamentspräsident Amir Ohana lud Trump zudem zu einer Rede vor der Knesset ein. Es wäre die erste derartige Ansprache eines US-Präsidenten im israelischen Parlament seit 2008. Trump erklärte, er hoffe, das von ihm selbst vermittelte Abkommen werde zu einem "ewigen Frieden" in der Region führen. Die israelische Polizei bereitet sich nach eigenen Angaben auf einen Besuch von Trump am Montag vor.
HAMAS SOLL KEINE ROLLE MEHR SPIELEN
Es bleiben jedoch erhebliche Hürden für einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Beide Seiten müssen sich noch auf die Liste der freizulassenden palästinensischen Gefangenen einigen. Auch die künftige Verwaltung des Gazastreifens und das endgültige Schicksal der Hamas sind ungeklärt. Israel wie auch die USA haben mehrfach betont, dass die Organisation bei der Gestaltung der Zukunft des Gazastreifens keine Rolle spielen werde.
Der Krieg hatte mit dem Angriff von Hamas-geführten Extremisten am 7. Oktober 2023 begonnen, bei dem in Israel 1200 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. In dem darauffolgenden israelischen Militäreinsatz wurden nach palästinensischen Angaben mehr als 67.000 Menschen getötet.
(Mitarbeit Maayan Lubell in Jersualem, Mahmoud Issa und Andreas Rinke in BerlinBearbeitet von Alexander RatzRedigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)