Börsenweisheit: Hin und Her macht Taschen leer

Jessica Schwarzer · Uhr (aktualisiert: Uhr)
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Geduld gehört zu den großen Tugenden erfolgreicher Investoren. Doch Anleger schichten ihre Wertpapiere immer häufiger um. Bringt das wirklich mehr Rendite oder ist das Gegenteil der Fall?

Immer auf der Suche nach der nächsten Top-Aktie, nach dem nächsten 100-Prozent-Tipp oder der Branche der Zukunft – manch Anleger wechselt seine Favoriten im Wochen- oder doch zumindest Monatsrhythmus. Aber ist das auch clever? Immerhin lautet eine alte Börsenweisheit „Hin und Her macht Taschen leer“. Und sie warnt nicht nur vor den Kosten, die mit jeder Order anfallen, sondern auch vor allzu viel Aktionismus an der Börse.

Experten können der alten Börsenweisheit einiges abgewinnen. „Aktien sind für die langfristige Geldanlage und den Vermögensaufbau geeignet, und verschiedene Statistiken zeigen immer wieder, dass häufige Veränderungen im Portfolio mit Renditeeinbußen verbunden sind“, sagt Andreas Telschow, Anlageexperte bei Fidelity International. Schließlich war in der Vergangenheit regelmäßig zu beobachten, dass der größte Wiederanstieg der Märkte an wenigen Tagen passiert. Das verdeutlicht eine Analyse von Fidelity International: Wer zwischen dem 31. Dezember 2007 und dem 31.Dezember 2017 voll im MSCI Europe Index investiert war, hat eine Rendite von knapp vier Prozent pro Jahr erzielt. Wer zwischendurch ausgestiegen und die zehn besten Tage in diesem Zeitraum verpasst hat, hat ein Minus  von 2,62 Prozent pro Jahr verkraften müssen. Und wer durch häufiges Aus- und Wiedereinstiegen an den 40 besten Tagen nicht investiert war, hat sogar einen Verlust von fast zwölf Prozent pro Jahr gemacht.

Auch Reinhard Panse ist überzeugt: „Hin und her macht tatsächlich Taschen leer, aber nicht wegen der Transaktionskosten. Sondern wegen der Prozyklik der meisten Anleger.“ Der Chief Investment Officer von HQ Trust nennt ein weiteres Beispiel: Wer im besten 17-Jahres-Zeitraum aller Zeiten am US-Aktienmarkt von 1984 bis 2000 einfach den S&P-500-Index gekauft und gehalten hat, konnte aus 100.000 US-Dollar immerhin 1,1 Millionen Dollar machen. Der Durchschnittsanleger in Aktienfonds hat aber aus 100.000 nur 228.000 Dollar gemacht. „Zum Teil wegen der Kosten der Aktienfonds, die damals noch recht hoch waren, aber hauptsächlich weil der normale Anleger dazu neigt, nach starken Kursverlusten begleitet von pessimistischen Zeitungsmeldungen und Kapitalmarktanalysen entnervt auszusteigen, um nach der folgenden Erholung bei nun wieder besserer Stimmung wieder einzusteigen“, so Panse.

Viele Investoren kennen diese Statistiken natürlich, scheinen sie aber zu ignorieren. Oder sie glauben, den Markt schlagen zu können. Die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie an der New York Stock Exchange liegt aktuell nach Berechnungen von HQ Trust bei noch nicht einmal zwei Jahren. Es scheint fast so, als habe die langfristige Aktienanlage ausgedient. Doch woran liegt es, dass Investoren scheinbar immer öfter ihre Aktienauswahl überdenken und ändern? „Der Punkt ist: Die Börsenlandschaft hat sich gewandelt“, sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. Anlegergeld liege heute zunehmend bei den großen Kapitalsammelstellen. Damit nehme auch die Größe der Aufträge zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren zu. Außerdem seien die Börsenplätze heute fragmentierter als früher. „Und natürlich spielen die Technik und der automatisierte Handel eine Rolle“, erklärt er. „Damit werden Wertpapiere immer schneller ge- und verkauft.“ Das alles wirkt sich auf die durchschnittliche Haltedauer aus.

Für Anleger ist es gar nicht so einfach, die Nerven zu bewahren und ihrer Strategie sowie ihren Investment treu zu bleiben. Sie sind tagtäglich einer enormen Masse an Informationen ausgesetzt, die via Internet mehr oder weniger permanent auf sie einströmen. „Es sind mehr Daten, Fakten und Gerüchte als sie aufnehmen und verwerten können, was zu einem häufigen Blick auf die Anlage führt“, sagt Panse. „Je öfter ein Anleger den Kurs seiner Kapitalanlage überprüft, desto eher entdeckt er einen Verlust, wird nervös und verkauft.“ Ein Phänomen, dass auch Stephan immer wieder beobachtet. „ Wer sich selbst um sein Depot kümmert, neigt dazu, seine Wertpapiere häufig umzuschichten“, sagt er. „Diese Strategie ist allerdings wenig erfolgversprechend.“ Gerade in etwas unsichereren Zeiten mit steigender Volatilität und Wachstumssorgen sind viele Anleger verunsichert. „Durch eine selektive Wahrnehmung lesen Anleger möglicherweise plötzlich nur noch schlechte Nachrichten, wenn sie selbst skeptisch sind und handeln dann entsprechend“, sagt Telschow. Er glaubt trotzdem nicht, dass die langfristige Geldanlage ausgedient hat. „Anleger sollten an der Börse grundsätzlich nur langfristig investieren und nur das Risiko eingehen, mit dem sie sich wohlfühlen“, so der Experte.

Ein langer Atem führt zum Erfolg

Also sind André Kostolanys Schlaftabletten noch immer die beste Lösung? Der Börsenaltmeister empfahl Anlegern einst, ein Depot mit Standardwerten zu füllen, Schlaftabletten zu nehmen und lange zu schlafen. Nach einiger Zeit könnten sie sich dann über satte Gewinne freuen. Panse ist überzeugt: „Kaufen und möglichst lange liegenlassen ist für Anleger die beste Strategie, da Aktien langfristig weltweit seit dem Jahr 1900 „sichere“ Renten oder Geldmarktanlagen um durchschnittlich vier Prozent pro Jahr outperformen und die Kosten des Reagierens auf gute oder schlechte Nachrichten einfach zu hoch sind.“

Ulrich Stephan ist mit Blick auf das aktuelle Marktgeschehen skeptisch. „Grundsätzlich muss man Anlegern raten, dass sie heutzutage ein bisschen mutiger sein und aktiver mit ihren Geldanlagen umgehen müssen“, sagt er. „Man kann sich mit einem Aktiendepot nicht mehr nur hinlegen und schlafen, wie das noch Börsenguru André Kostolany formuliert hat. Dafür passiert zurzeit einfach zu viel.“ Ihren Kunden empfehle die Deutsche Bank, im Depot mindestens einmal im Jahr eine neue Gewichtung vorzunehmen, damit dieses auch wirklich den Rendite-Risiko-Ansprüchen des Anlegers genügt. Dabei gilt: Je risikofreudiger ein Anleger ist, desto höher kann die Gewichtung riskanterer Anlageklassen wie Aktien im Portfolio sein.

„Anleger stehen heute vor der Herausforderung, die Flut an Markteinschätzungen und Prognosen so zu bewältigen, dass sie adäquat auf die immer schnelleren Marktentwicklungen reagieren können“, so Stephan. „Das erfordert viel Know-how und Zeit.“ Wem der Aufwand zu hoch sei, die Märkte selbst regelmäßig zu beobachten, könne konkrete Anlageentscheidungen delegieren und auf gemanagte Lösungen oder Mandatslösungen, etwa klassische oder digitale Vermögensverwaltungen zurückgreifen.

„Hin und Her macht Taschen“ leer ist unbestritten eine treffende Börsenweisheit. Kosten drücken die Rendite, prozyklisches Handels ist kein guter Rat und Hektik sowieso nicht. Aber es gibt auch Zeiten, in denen das Depot an die aktuelle Marktsituation angepasst werden muss. Ein langer Atem führt an der Börse zwar zum Erfolg, mitunter müssen Anleger aber einfach nachjustieren.

Foto: Jinga / Shutterstock.com

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