Evergrande: Lage spitzt sich weiter zu – muss der chinesische Staat am Ende eingreifen, um eine Krise zu verhindern?

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Lage beim schuldenbeladenen Immobilienkonzern Evergrande aus China spitzt sich zu. Die Ratingagentur S&P Global folgte am Mittwoch den Wettbewerbern und stufte die Bontitätsnote des Unternehmens und seiner Töchterfirmen auf die drittniedrigste Stufe „CC“ nach unten. An der Börse brachen die Aktien weiter ein, der Handel mit Anleihen wurde nach Kursabstürzen erneut angehalten. Die Regierung in Peking bereitete die Banken einem Medienbericht zufolge auf Zinsausfälle bei Krediten an Evergrande vor. Auch deutsche Unternehmen blicken zunehmend sorgenvoll nach China.

300 Milliarden Dollar Schulden

Die Liquiditäts- und Refinanzierungssituation von Evergrande sei erheblich schlechter geworden, Umsätze und Barbestände signifikant zurückgegangen, erklärten die Analysten von S&P. Ihr Ausblick für die Bonitätsnote ist negativ, was bedeutet, dass eine weitere Herabstufung möglich ist. Vor einer Woche hatten Fitch und Moody’s ihre Ratings für Evergrande gesenkt. Der zweitgrößte Immobilienentwickler des Landes, der unter einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden Dollar ächzt, hatte selbst vor Liquiditäts- und Ausfallrisiken gewarnt, falls es ihm nicht gelingen sollte, die Bautätigkeit wieder aufzunehmen, Firmenbeteiligungen zu verkaufen und Kredite zu erneuern.

Nach Jahren einer extremen Wachstumsstrategie scheint der Konzern nun an seine Grenzen gekommen zu sein. Das Unternehmen hat in einer Mitteilung an die Börse in Hongkong zuletzt eingeräumt, dass es unter „enormem Druck“ stehe. Der Konzern habe Finanzberater eingestellt, die „alle machbaren Lösungen“ prüfen sollten, um den Schuldenberg abzutragen. Die Konzernführung warnt jedoch davor, dass es keine Garantie gebe, dass Evergrande all seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann.

Seit Mitte 2020 steht der Konzern aufgrund strengerer staatlicher Regelungen unter Druck, da die Regierung in Peking den Firmen des Landes Grenzen für die Kreditaufnahme gegeben und sie dazu gezwungen hat, Schulden abzubauen. China versucht damit, Druck von der wachsenden Immobilienblase des Landes zu nehmen. Evergrande musste Immobilien mit deutlichen Preisnachlässen verkaufen.

Zahlungsausfälle drohen

Die chinesische Wohnbau- und Stadtentwicklungsbehörde warnte die Banken des Landes vor Zahlungsausfällen, wie Bloomberg unter Berufung auf Insider berichtete. Evergrande werde nicht in der Lage sein, die am 20. September fälligen Zinsen zu bedienen. Das Unternehmen verhandele mit Finanzinstituten über Zinsmoratorien und Verlängerungen von Darlehen. Knapp 90 Milliarden Dollar der Schulden entfallen Experten zufolge auf Banken und andere Finanzinstitutionen. Die meisten Kredite liegen Analysten von JP Morgan zufolge bei der China Minsheng Bank.

Die Experten von Fitch erwarten, dass vor allem kleinere Banken von Zahlungsausfällen bei Evergrande betroffen sind. Das Bankensystem in Gänze könne die Probleme verkraften, hieß es in einem Ratingbericht. Ein Stresstest der chinesischen Zentralbank habe gezeigt, dass die Eigenkapitalquote der rund 4000 Banken in der Volksrepublik nur geringfügig sinken würde, wenn die Zahl der faulen Darlehen bei Immobilienkonzernen generell steige.

Muss die Regierung am Ende rettend eingreifen?

Experten gehen davon aus, dass die Regierung zu Hilfe eilt. Analystin Hua Cheng vom Vermögensverwalter AllianceBernstein sagt, Evergrande sei zwar eines der am höchsten verschuldeten Unternehmen weltweit und der chinesische Immobiliensektor sei von großer Bedeutung. Evergrande und seine Rivalen seien aber nicht systemrelevant. „Wenn auch einzelne Bauträger in Verzug geraten oder scheitern könnten, werden die chinesischen Behörden höchstwahrscheinlich Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen auf den Sektor zu begrenzen.“

Dennoch läuten in der deutschen Wirtschaft die Alarmglocken. „Die Gefahr einer Überhitzung des chinesischen Immobilienmarktes ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), zu Reuters. Sollte die Blase am Immobilienmarkt platzen, könne der Konsum in China leiden oder der Bau als wichtiger Konjunkturmotor ausfallen. China ist der zweitwichtigste Absatzmarkt für Produkte „Made in Germany“ nach den USA: 2020 wurden Waren im Wert von rund 96 Milliarden Euro dorthin verkauft.

Evergrande ist in über 280 chinesischen Städten aktiv und hat einen Bestand von im Bau befindlichen Wohnungen von etwa 1,4 Millionen - mit einem Wert von umgerechnet ca. 200 Milliarden Dollar.

Evergrande kommt an der Börse unter die Räder

Die Aktien von Evergrande sackten an der Börse in Hongkong um weitere sechs Prozent auf den tiefsten Stand seit Anfang 2014 ab. Seit Anfang des Quartals haben die Titel fast drei Viertel ihres Wertes verloren. Kurse von Evergrande-Anleihen brachen am Mittwoch teilweise um 20 Prozent ein, nachdem sie schon in den vergangenen Tagen stark verloren hatten. Auch Aktien und Anleihen anderer Immobilienfirmen gerieten unter die Räder.

Evergrande war im Juni mit Zinszahlungen für Anleihen in Verzug geraten. Darauf folgende Ratingabstufungen hatten den Ausverkauf an den Börsen beschleunigt. Die chinesische Zentralbank und die Finanzaufsichtsbehörde riefen im August das Evergrande-Management dazu auf, Schulden zu reduzieren und den Konzern zu stabilisieren. Die Regierung bemühe sich auch um die Sicherung des sozialen Friedens, sagen Marktbeobachter. Bei dem Konzern arbeiten 200.000 Menschen, jährlich werden etwa 3,8 Millionen Menschen engagiert für Bauprojekte. Am Montag hatten aufgebrachte Anleger die Lobby des Hauptsitzes von Evergrande in Shenzen gestürmt und ihr Geld zurückverlangt. Auch am Mittwoch gab es dort wieder Proteste.

onvista-Redaktion/reuters

Titelfoto: hxdbzxy/ Shutterstock.com

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