Weshalb nimmt Wirecard so viel Kapital von außerhalb auf?
Ich habe eine sehr gemischte Meinung zu Wirecard.
Auf der einen Seite sehe ich einen (wie wir bei The Motley Fool sagen) sehr Foolishen Gründer. Markus Braun bringt in Interviews immer wieder seine großartigen Visionen zum Ausdruck und dass er sehr langfristig denkt. Außerdem ist Herr Braun der Gründer des Unternehmens und noch immer der größte Einzelaktionär von Wirecard. Sein Aktienpaket ist aktuell ein gutes Stück mehr wert als 1 Milliarde Euro und macht wohl den Großteil seines Vermögens aus. Und dann kommt noch hinzu, dass Wirecard in einer der aktuell zukunftsträchtigsten Industrien überhaupt angesiedelt ist.
All das sind Eigenschaften, die man bei den meisten Unternehmen und Unternehmenslenkern vergeblich sucht. Von der Kombination all dieser ganz zu schweigen. Aber diese Eigenschaften können für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens sehr entscheidend sein. Deshalb investiere ich persönlich am liebsten in die wenigen Unternehmen/Gründer, bei denen man genau diese findet.
Auf der anderen Seite hat Wirecard ein sehr komplexes Geschäftsmodell. Genauer gesagt besteht Wirecard eigentlich aus ein paar verschiedenen überdurchschnittlich komplexen Geschäftsmodellen.
Dieser Mix an Geschäftsmodellen führt dazu, dass riesige Zahlungsströme praktisch quer durch das Unternehmen hin und her fließen. Der allergrößte Teil dieser Zahlungsströme gehört Wirecard nicht ‒ man zwackt nur einen (sehr) kleinen Teil davon ab, der am Ende den größten Teil des Umsatzes von Wirecard ausmacht.
Die Finanzberichte von Wirecard nachzuvollziehen ist daher extrem schwierig (zumindest für mich).
Trotzdem habe ich mich gefragt, weshalb ein so hoch profitables Unternehmen wie Wirecard (fast ein Fünftel der Umsätze bleibt am Ende als Gewinn übrig) mit einer so hohen Nettoliquidität (aktuell deutlich mehr als 1,5 Milliarden Euro) in diesem Jahr schon weit mehr als eine Milliarde Euro zusätzliches Kapital in Form von neuen Schulden bzw. einer Wandelanleihe eingesammelt hat.
Dafür habe ich mir mithilfe von S&P Global Market Intelligence die Mittelverwendung in den letzten zehn Jahren (2009 bis 2018) angesehen.
Es gibt prinzipiell fünf Möglichkeiten, wie ein Unternehmen sein Kapital verwenden kann:
Die letzten beiden Dinge hat Wirecard in dem betrachteten Zehnjahreszeitraum nicht getan. Im Gegenteil, man sammelte sogar insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro ein durch die Aufnahme zusätzlicher Schulden und die Herausgabe zusätzlicher Aktien.
Die Mittelabflüsse für die ersten drei Dinge betrug in diesen zehn Jahren:
Summiert man diese drei Dinge, kommt man ebenfalls auf rund 1,9 Milliarden Euro. Diese Ausgaben stimmen also ziemlich genau überein mit den 1,9 Milliarden Euro, die Wirecard in demselben Zeitraum per Kapitalerhöhungen und zusätzlicher Schulden eingesammelt hat.
Allerdings hat Wirecard über denselben Zeitraum ja auch noch eine ganze Menge Kapital durch sein operatives Geschäft erwirtschaftet ‒ und zwar rund 2,4 Milliarden Euro.
Was ist mit diesem Geld passiert? Immerhin konnte das Unternehmen durch die Aufnahme zusätzlicher Schulden und Kapitalerhöhungen wohl den größten Teil seiner Investitionen und Dividenden (laut meinen Berechnungen zumindest) abdecken.
Dementsprechend müsste dieses andere Geld auf den Bankkonten von Wirecard liegen. Und so scheint es zu sein, denn die liquiden Mittel des Unternehmens haben über den betrachteten Zeitraum um rund 2,5 Milliarden Euro zugenommen ‒ von 200 Millionen Euro auf mehr als 2,7 Milliarden Euro.
Meine kurze Analyse aus der Vogelperspektive hat meine ursprüngliche Frage daher leider nicht beantwortet. Laut meiner Analyse hätte Wirecard in den letzten zehn Jahren (im Durchschnitt) eigentlich kein externes Kapital gebraucht, um sein eigenes Wachstum zu finanzieren.
Allerdings möchte ich noch einmal betonen, dass die Finanzberichte von Wirecard überdurchschnittlich schwer zu analysieren sind. Der Teufel steckt oft im Detail. Ich hoffe, dass die Versprechen von Herrn Braun zu mehr Transparenz in Zukunft gehalten werden, sodass man auch diese Details des Geschäfts besser verstehen kann.
Wenn das Unternehmen diese in Zukunft nachvollziehbar aufschlüsselt, dann könnte die größte Hürde hin zu einer Investition in die Aktie für mich genommen sein. Denn viele solche potenziellen Erfolgsgeschichten haben wir hier in Deutschland nicht. Bis es so weit ist, beobachte ich die Entwicklung des Unternehmens jedoch lieber von der Seitenlinie aus.
Offenlegung: Bernd Schmid besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt und empfiehlt Aktien von Mastercard, PayPal Holdings und Visa. The Motley Fool hat die folgenden Optionen: short Oktober 2019 $97 Calls auf PayPal Holdings.
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