Ausgefuchst
Kurz vor Weihnachten stehen Gewürze aus aller Welt auf deutschen Einkaufszetteln: Anis aus Ägypten, Muskat aus Indonesien, Zimt aus Madagaskar. Und wer im Supermarktregal zugreift, kauft fast immer bei demselben Unternehmen: Fuchs Gewürze. Die Firma aus Dissen in Niedersachsen ist die Nummer eins auf dem deutschen und europäischen Gewürzmarkt und weltweit die Nummer zwei.
Bei 70 bis 80 Prozent liegt der Marktanteil von Fuchs für Haushaltsgewürze nach verschiedenen Schätzungen. Denn selbst wer die Marke „Fuchs“ meidet, landet beim Platzhirschen. Auch die Gewürzdosen von Ostmann, Ubena oder Wagner stammen aus dem Reich von Fuchs. Im Feinkostregal geht es weiter: Bamboo Garden, Escoffier, Kattus, ein Stück weiter die scharfen Soßen und Dips von Fuego – hinter allem steckt Fuchs. Auch bei Discountern sind die Gewürze aus Dissen gelistet. Branchenkenner sprechen von einer „Monokultur“ im Gewürzregal.
Fuchs, das ist nicht nur ein Unternehmen, das ist ein Mythos – eine Geschichte, ähnlich sagenhaft wie so manche aus den Chroniken des Gewürzhandels, als Pfeffersäcke Vermögen anhäuften und ihre Waren mit Gold aufgewogen wurden. Im Jahr 1952 baute Dieter Fuchs in der Kleinstadt Dissen einen Gewürzhandel auf. Seine ersten Tüten mit Salz und Pfeffer brachte er per Fahrrad zu seinen Kunden. Doch er suchte das große Geschäft und traf eine Entscheidung, die den Erfolg seines heutigen Imperiums begründete: Fuchs wollte seine Waren im großen Stil bei den Einzelhändlern verbreiten.
Hinter der heute bekannten Marke steht eine extrem öffentlichkeitsscheue Person. Wenig ist bekannt über den inzwischen gealterten Firmenchef. Umso überraschter reagierte Starkoch Alfons Schuhbeck, als ihn Fuchs vor einigen Jahren in seinem Gewürzladen in München besuchte. Aus dem Besuch ist eine enge Geschäftsbeziehung entstanden. Heute prangt Schuhbecks Gesicht auf den Dosen der Premium-Linie „Fuchs …die feine Küche“. Es war wohl eine der letzten großen Deals von Dieter Fuchs für sein Unternehmen.
Nach 60 Jahren, in denen er sein Gewürz-Reich penibel gesteuert hat, zieht sich Fuchs inzwischen immer mehr aus dem Geschäft zurück. 85 Jahre ist er jetzt alt. Auf den Sitzungen des Gewürzverbandes hat man ihn schon länger nicht gesehen. Auch, weil sich sein Alter bemerkbar mache, heißt es. Anfang September trennte sich Dieter Fuchs von sämtlichen Leitungsfunktionen und übergab die leitende Geschäftsführung an Carsten Wehrmann, der davor CEO bei Lindt & Sprüngli in Österreich war.
Der Weg zum Gewürz-Imperium
Doch wie konnte es Fuchs gelingen, sein Imperium aufzubauen? In anderen Branchen steht das Kartellamt sofort parat, wenn marktbeherrschende Unternehmen entstehen. Dieter Fuchs bewies Gespür für den richtigen Moment. Der Weltmarktführer McCormick hatte vor etwa 20 Jahren versucht, den damals großen deutschen Gewürzhändler Ostmann zu kaufen, war jedoch am Bonner Kartellamt gescheitert. Auch Fuchs hätte wahrscheinlich keine Genehmigung erhalten. Stattdessen schlug im Jahr 1994 das australische Unternehmen Burns Philp & Co. zu – verlor in den Folgejahren aber immer mehr Marktanteile.
Erst wegen des gesunkenen Umsatzes von Ostmann konnte Fuchs dann zugreifen, ohne eine Überprüfung durch das Kartellamt befürchten zu müssen. Noch heute hadern Kartellwächter mit solchen großen Übernahmen von Fuchs. Dass diese ungehindert ablaufen konnten, liegt an einem Paragraphen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Demnach greift die deutsche Fusionskontrolle erst ab einem gesammelten Jahresumsatz beider Unternehmen von mehr als 500 Millionen Euro. Diese Schwelle wurde damals nicht erreicht. Aber: „Das sind Vorhaben, die man sich sonst sicher näher angeschaut hätte“, sagt Kartellamt-Sprecher Kay Weidner.
Nach einer Übernahme-Serie beherrscht Dieter Fuchs aus Sicht des Kartellamts nun den Markt für Haushaltsgewürze und -kräuter. Auf Ostmann im Jahr 1998 folgten 2000 Ubena und 2002 Wagner. Im Jahr 2006 schluckte er den Feinkostspezialisten Kattus. Und der Konzern wächst mittlerweile nach eigenen Angaben aus eigener Kraft rasant weiter. Der Jahresumsatz der Gruppe hat Medienberichten zufolge die Schwelle von 550 Millionen Euro überschritten.
Nur wenige mittelständische Konkurrenten auf dem Markt für Haushaltsgewürze sind heute noch übrig: Etwa Alba aus Bielefeld, Merschbrock-Wiese aus dem ostwestfälischen Rietberg oder Hartkorn aus Koblenz. Solche Firmen konzentrieren sich in der Regel auf die Supermärkte in einzelnen Regionen, während Fuchs deutschlandweit die Läden beliefert.
Fuchs‘ Macht ist historisch gewachsen. Vom wachsenden Wohlstand getrieben entdeckten die Deutschen in den 50er- und 60er-Jahren ihren Appetit auf feine Gewürze wieder. Ein Massenmarkt entstand. Die Läden reagierten und füllten ihre Regale. Statt in einfachen Tüten wollten sie die Gewürze nun in schick bedruckten Gläsern und Dosen haben.
Wer mit seiner Ware in Deutschlands Küchen vordringen wollte, musste Geld ausgeben für Werbung, Transport, für neue Verpackungen und Designs, für bessere Maschinen und größere Lagerhallen. Er musste Vertreter beschäftigen, um die Wünsche der Ladenbetreiber zu erkunden. Vielen war das zu mühsam - oder sie waren zu langsam für die Konkurrenz. „Viele junge Unternehmer sind damals untergegangen, nur wenige haben es mit ihren Produkten in die Lebensmittelläden geschafft“, sagt Georg Schulz, ehemals langjähriger Geschäftsführer der Hamburger Gewürzmühle. Einer davon war Fuchs.
Produktion an 14 Standorten weltweit
Sein Unternehmen wurde damit zum Prototyp für einen neuen Geschäftszweig der Gewürzbranche: „Packer“, so wurden die großen Hersteller von Haushaltsgewürzen genannt. Dieser Markt war damals noch unerschlossen und entsprechend hart umkämpft. Doch Fuchs zeigte Ehrgeiz und Geschick, nahm Geld in die Hand, ließ sich neue Maschinen bauen, die mit all den verschiedenen Schoten, Körnern und Pulvern fertig wurden. Er setzte sich durch und stand schließlich an der Spitze des deutschen Marktes.
Quelle des Erfolgs sind bis heute die Verbraucher, die ihren Geschmackssinn mit immer exotischeren Pulvern und Schoten erkunden. Die verbrauchte Gewürzmenge in Deutschland ist seit der Jahrtausendwende um 44 Prozent gestiegen. Mehr als 63.000 Tonnen wurden im Jahr 2012 in Lebensmitteln verarbeitet.
Fuchs bedient die Nachfrage heute mit mehr als 3500 Mitarbeitern weltweit. An 14 Standorten auf der Welt lässt er Gewürze beschaffen oder verarbeiten. Er betreibt unter anderem Werke in Rumänien, den USA und China. In Brasilien unterhält er die nach Aussage des Unternehmens größte Paprikaplantage der Welt.
Die starke Position in den deutschen Geschäften sicherten Fuchs auch seine Marken-Gewürzregale, die er extra für seine Waren anfertigen lässt. In den 1960er Jahren kamen die ersten davon auf den Markt. Nun hatte er nicht nur die Geschäfte erobert, sondern konnte auch großen Einfluss darauf nehmen, wie seine Gewürze dort präsentiert wurden. Eine Idee, die sich auch Wettbewerber zu Nutze machten. Der Vorteil für die Einzelhändler: Sie hatten keinen Ärger mehr mit der Pflege der Regale.
Die Gewürzhersteller betreiben noch heute großen Aufwand mit dem Bestücken ihrer Regale. Regelmäßig prüfen ihre Mitarbeiter in den Supermärkten, ob irgendwo ein Feld in den Döschen-Reihen nachgefüllt werden muss. Doch dieser Vertriebsapparat rentiert sich. Ergebnis der Mühe ist eine Umsatzrendite von bis zu 50 Prozent des Verkaufspreises, so Schätzungen des Bundeskartellamts.
Die Regale werden daher mit Zähnen und Klauen verteidigt. Der Mittelständler Hartkorn machte mit dem großen Konkurrenten aus Dissen unangenehme Erfahrungen. Wie Ermittlungen des Bundeskartellamts ergaben, hatten Fuchs-Mitarbeiter um die Jahrtausendwende hohe „Werbekostenzuschüsse“ an selbstständige Lebensmitteleinzelhändler gezahlt und Exklusivverträge abgeschlossen, um Hartkorn aus dem dortigen Sortiment zu verdrängen.
Fuchs legte Beschwerde gegen die Entscheidung ein und wies die Darstellung des Kartellamts zurück. Eigene Marktmöglichkeiten würden nicht ausgenutzt, heißt es in der Dokumentation des Kartellamts aus dem Jahr 2002. Bei den Werbekostenzuschüssen habe man immer nur nachgezogen, was Wettbewerber zuvor gegeben hätten.
Tatsächlich sind solche Zahlungen der Gewürzhersteller laut Kartellamt üblich, um sich Verkaufsflächen im Handel zu erschließen. Im Jahr 2006 folgte allerdings eine Geldbuße in Höhe von 250.000 Euro gegen die Vertriebsfirma Teuto, die zum Fuchs-Konzern gehört: Erneut sollen Mitarbeiter des Marktführers versucht haben, Hartkorn-Produkte mit Geld oder Sonderkonditionen aus den Läden herauszuhalten.
Immer wieder Kartellbeschwerden
Doch damit hörten die Beschwerden von Konkurrenten nicht auf. Wie Handelsblatt Online vom Kartellamt erfuhr, wurde die Behörde durch Hinweise von Mitbewerbern seit dem Jahr 2010 wieder auf Fuchs aufmerksam: „Es gab erneut Anlass, das Verhalten des Unternehmens zu überprüfen. Wegen des Verdachts auf Behinderung von Wettbewerbern wurden Ermittlungen durchgeführt“, sagt Sprecher Kay Weidner. Die seien inzwischen allerdings eingestellt worden. Der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Fuchs halte seine Mitarbeiter inzwischen stärker zur Einhaltung der Spielregeln an, so heißt es.
Dazu passt die Stellungnahme des Unternehmens gegenüber Handelsblatt Online: „Wir bekennen uns uneingeschränkt zum fairen Wettbewerb und zur fairen Vertragsgestaltung gegenüber unseren Geschäftspartnern. Wir achten alle einschlägigen Vorschriften. Wir sprechen uns ausdrücklich gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen aus.“ Konkret will Fuchs zu den genannten Kartellbeschwerden nicht Stellung nehmen.
Auch wenn mancher Wettbewerber das Verhalten von Fuchs anders interpretiert, die Machtverhältnisse in den Gewürzregalen sind ohnehin längst eingeebnet, die Konzentration des deutschen Marktes in Richtung Dissen ist vorerst abgeschlossen. Kein Konkurrent kann Fuchs derzeit ernsthaft gefährlich werden. Denn auch das gehört zu den Spielregeln: „Man muss sich nicht unbedingt mit dem Marktführer anlegen“, sagt Wolfgang Schulze, Geschäftsführer des Traditionsunternehmens Schulze und Co. (Schuco) aus Nürnberg.
Als nach dem Krieg die „Packer“ in die Regale drängten, erkannten die Nürnberger früh, dass es viel Geld kosten würde, um im Haushaltsgeschäft mitzuhalten. Sie zogen sich zurück und konzentrierten sich mit Erfolg auf die Belieferung der Lebensmittelindustrie, stellten sich auf die teils sehr speziellen Wünsche der Großkunden ein. In Milchprodukten, Kindernahrung und Bratwürsten stecken heute Schuco-Gewürze. Durch die langjährigen Kontakte zu den Kunden kommt ihnen Fuchs, der auf diesem Markt ebenfalls unterwegs ist, nicht in die Quere.
Ähnlich haben es auch andere traditionelle Hersteller gemacht, etwa die Hamburger Gewürzmühle. Sie suchten sich die Nischen, die der große Fuchs nicht belegte oder übrig gelassen hatte.
„Wie ein spannender Roman“, so hat Fuchs sein Leben einmal in einem Interview beschrieben. Bisher sind viele Kapitel davon für die Öffentlichkeit verschlossen geblieben. Kaum Fotos gibt es von dem Firmenführer aus Dissen. Dieter Fuchs meidet Veranstaltungen mit Menschen, die er nicht kennt. Menschen, die ihn kennen, sprechen von einem äußerst zurückhaltenden Charakter. Dahinter sollen auch Sorgen stecken, sein Geld könnte ihm gefährlich werden – so wie dem damaligen Industriellensohn und heutigen Konzernlenker Richard Oetker, der im Jahr 1976 brutal entführt wurde. Fuchs gilt aber auch als Kaufmann alter Schule: Ehrlich und fleißig. Kein Selbstmarketing, kein Gehabe. Volle Konzentration auf die Firma.
Dass Dieter Fuchs wirklich komplett das Steuer abgibt in Dissen, mag sich kein Kenner der Branche ernsthaft vorstellen. Sein Leben, das sind die Gewürze. Und so heißt es auch in der jüngsten Fuchs-Pressemitteilung, der Gründer werde seinem Unternehmen weiter „beratend zur Verfügung stehen“. Der gealterte Fuchs ordnet also vorerst weiter die Gewürzwelt der Deutschen, ohne dass diese es merken. Die ganze bunte Vielfalt, geliefert von einem Mann.