GESAMT-ROUNDUP: Corona-Krise zerstört Fortschritte bei Gleichberechtigung

dpa-AFX · Uhr

BERLIN/BRÜSSEL (dpa-AFX) - Vor dem Internationalen Frauentag wächst die Sorge um verheerende Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gleichberechtigung von Frauen. Die EU-Kommission legte am Freitag einen Bericht dazu vor. "In Europa und darüber hinaus hat die Pandemie die bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in fast allen Lebensbereichen verschärft und hart erkämpfte Fortschritte der vergangenen Jahre wieder zunichte gemacht", teilte die Brüsseler Behörde mit. Im Bundestag riefen Politikerinnen am Freitag über Fraktionsgrenzen hinweg dazu auf, Frauen nicht zu den Verliererinnen der Corona-Krise werden zu lassen.

"Frauen in der Krise, das sind die Superheldinnen", sagte die Unionsfraktions-Vizechefin Nadine Schön (CDU). Man müsse es schaffen, dass die Pandemie für Frauen "nicht zum Rückschritt wird". Das Corona-Jahr dürfe nicht dauerhaft zum Karriereknick werden. Ihre SPD-Kollegin Katja Mast wies darauf hin, dass die Pandemie alte Rollenverteilungen verstärke. "Diese Muster müssen wir durchbrechen."

Die Warnung der Politikerinnen kommt nicht von ungefähr: Der zeitgleich veröffentlichte EU-Bericht legt dar, wie sich bestehende Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen durch die Pandemie wieder verschärfen. Die Arbeitslosigkeit sei bei Frauen laut Eurostat zwischen April und September 2020 von 6,9 auf 7,9 Prozent angewachsen, bei Männern von 6,5 auf 7,1 Prozent im selben Zeitraum. Dies könne - etwa mit Blick auf Renten - auch Auswirkungen weit in der Zukunft haben und die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen für Jahrzehnte erweitern.

Laut einer US-Studie seien es eher Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzierten oder sogar kündigten, um sich um Kinder zu kümmern, heißt es in dem Bericht, wobei konkrete Zahlen für die EU-Staaten dazu nicht vorlagen. "Diese Muster haben die traditionellen Geschlechterrollen gestärkt", steht in dem Bericht.

Bemängelt wird zugleich, dass es in Corona-Krisenstäben einen "eklatanten" Mangel an Frauen gebe. Eine Studie, die auch 17 EU-Länder betrachtete, habe ergeben, dass mehr als 85 Prozent dieser Gremien hauptsächlich männlich besetzt seien. "Frauen in diese Entscheidungen einzubeziehen ist von großer Bedeutung", betont der Bericht.

Dagegen sind 86 Prozent der Pflegekräfte laut Kommissionsangaben weiblich. "Obwohl Frauen die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen in der EU ausmachen, werden Frauen von Führungspositionen im Gesundheitssektor zurückgehalten", heißt es. Rund 25 Prozent der beschäftigten Frauen arbeiteten in Hochrisikosektoren der Pandemie, bei den beschäftigten Männern seien es 20 Prozent.

In der weitgehend von Frauen geführten Bundestagsdebatte verlangte die FDP-Abgeordnete Nicole Bauer "Respekt vor den vielen Frauen, die an Supermarktkassen, in den Kitas, in den Krankenhäusern, in Altenheimen jeden Tag während der Pandemie ihren Einsatz brachten". Nötig sei ein "Kulturwandel in Parteien und Unternehmen". Familien- und Frauenministerin Franziska Giffey betonte mit Blick auf die Corona-Krise: "Frauen halten an vielen Stellen den Laden am Laufen." Die SPD-Politikerin verlangte unter anderem eine Aufwertung der sozialen Berufe und eine gleiche Bezahlung von Männern und Frauen.

Die Grünen-Frauenpolitikerin Ulle Schauws betonte: "Die Pandemie zeigt uns schmerzhaft als Gesellschaft auf, dass der Weg zu echter Gleichberechtigung noch weit ist." Es gebe kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsproblem. "Was es braucht, ist eine feministische Regierung, die Gleichstellung als zentrales Demokratiethema versteht und es durchgängig im Regierungshandeln durchsetzt." Die AfD-Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel sah Errungenschaften für Frauen durch die Migrationspolitik der Bundesregierung gefährdet.

Giffey räumte zwar ein: "Wir haben immer noch Entwicklungspotenziale, das ist doch gar keine Frage." Zugleich verwies sie aber auf bereits Erreichtes und betonte: "Wir haben zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie." In einer Pressekonferenz sagte die SPD-Politikerin später, in den vergangenen hundert Jahren sei viel erreicht worden, etwa bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dennoch gebe es noch viel mehr zu tun. Dabei gehe es nicht nur um Teilhabe in Politik und Wirtschaft, sondern auch ums Geld: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das ist eines der großen Kampfthemen zum Internationalen Frauentag."

Der Internationale Frauentag wurde auf Anregung der deutschen Sozialdemokratin Clara Zetkin erstmals am 19. März 1911 in Deutschland und in Nachbarländern sowie den USA organisiert. Seit 1921 wird er jährlich am 8. März begangen. Im Land Berlin ist er seit 2019 gesetzlicher Feiertag.

"Die gute Nachricht ist, wir Feministinnen und Feministen haben den Wind der Geschichte in unseren Segeln", sagte die frühere Linke-Vorsitzende Katja Kipping. "Es ist ein Fortschritt, der nicht aufzuhalten ist, denn wir werden ihn uns erkämpfen."/mjm/DP/stw

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