Von Spekulatius und Spekulation

Der onvista-Börsenfuchs · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Hallo Leute! Gestern war ich beim Arzt, einem Gelenkdoktor. Ich kannte ihn noch nicht (er mich auch nicht). Urteil nach einer knappen halben Stunde: Kompetent, nimmt sich genug Zeit, erklärt gut verständlich, Mitte 40 und sympathisch. Doch als er erfuhr, dass ich was mit der Börse zu tun habe, reagierte er überraschend auf mein nicht ernst gemeintes Angebot, ihn in Sachen Geldanlage zu beraten: „Nee, nee, brauch ich nicht. Mein Geld steckt in Immobilien. Mit Aktien und den ständigen Kursschwankungen will ich nichts zu tun haben. Das ist nicht meine Welt, das Spielfeld der Großkapitalisten und Spekulanten. Die Börse kennt doch keine echten Werte.“ Lachend winkt er ab und verabschiedet sich ins Behandlungszimmer neben an, wo der nächste Patient schon wartet.

Hat mich ein bisschen geärgert, das kleine Erlebnis, weil wir über seine Einstellung nicht weiter diskutieren konnten. In mindestens einem Punkt hat er natürlich Recht: die Macht der Spekulanten. Aber dass Spekulation eigentlich nix Schlimmes ist, hätte ich ihm wenigstens im Sinne eines Wirtschaftslexikons zu verklickern versucht: Indem die Spekulation die künftige Entwicklung vorwegnimmt, kann sie marktregulierend, preis- und risikoausgleichend wirken sowie die Handelbarkeit von Wertpapieren erhöhen und damit eine volkswirtschaftlich nützliche Aufgabe erfüllen. Andererseits kann die Spekulation Kursbewegungen induzieren, die zu tief greifenden Störungen des Kapitalmarkts führen, und im Extremfall auslösendes Moment für einen Börsenkrach sein.

Hinterher, bei der Nachbehandlung mit meiner Füchsin, kamen wir am Rande auch auf „Spekulatius“ zu sprechen (wahrscheinlich auch aus saisonalen Gründen), das aus Belgien und den Niederlanden, aber auch dem Rheinland und Westfalen stammende Gebäck aus Mürbeteig. Nix für mich, da gibt es andere Favoriten unter den süßen Sünden der Weihnachtszeit. Außerdem ist die Herkunft des Worts Spekulatius unsicher, vielleicht hat das Knabberzeug ursprünglich gar nix mit Spekulation zu tun.

Aber mal ehrlich, meine Freunde, ist denn nicht ein Großteil Eurer Kapitalanlage auch spekulativ? Spekulieren wir nicht dauernd auf etwas und reagieren anschließend auf das tatsächliche Ergebnis der Spekulation? In den vergangen Monaten hat man so oder so auf den Brexit gewettet, dann die Fehlspekulationen vor der Ami-Wahl. Aktuell steht Europa auf dem Spekulationsfahrplan - erst mal das Renzi-Referendum am Sonntag, später Frankreich und Deutschland. Aber auch über den Ölpreis wird international täglich spekuliert, über angeblich sooo wichtige US-Konjunkturindikatoren, steigende Unternehmensgewinne, die nächste Dividende, den monatlichen ifo-Index und, und, und.

Obwohl sie einen eindeutig negativen Beigeschmack hat, durchzieht Spekulation (lateinisch speculor = beobachten, spähen, auskundschaften) eigentlich unser Leben auf allen möglichen Ebenen. Deshalb hab ich absolut nix gegen Spekulation. Und was das Geld betrifft, so kommt’s nur darauf an, alles ganz bewusst zu tun und die Strategien klar zu trennen - am besten auf unterschiedlichen Konten: Sparen (= Vorsorge, sollte nix mit Spekulation zu tun haben), Anlegen (= Streben nach Rendite, also Wertsteigerung, hat spekulative Elemente), Traden (= extrem kurzfristiges Handeln mit stark spekulativem Charakter) und die reine Spekulation selbst (= wie auf rot oder schwarz setzen im Spielkasino).

Sollte man wegen Italien jetzt noch schnell was tun am Aktienmarkt? Als Anlage kann ich das nicht empfehlen. Aber aus dem spekulativen Topf einen bestimmten Betrag auf Renzi zu setzen (oder gegen ihn), ist doch reizvoll, oder?

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