Kutzers Zwischenruf: Ich war einmal ein Europäer

Hermann Kutzer · Uhr

Schauen Sie sich doch einmal den heutigen Tages-Chart des Dax an, geschätzte Anleger, und zwar die heftige Zuckung zwischen 11 und 14 Uhr. Für mich ist die wie ein Spiegel der europäischen Entwicklung, speziell wie der Zirkus um den Brexit, ausgelöst von den Nachrichten über einen Last-Minute-Deal zwischen London und Brüssel, begünstigt vom Herdentrieb der Großanleger am Aktienmarkt. „Hurra, wir haben es doch geschafft!“ Nur: Wie lange hielt das euphorische Motto? London und Brüssel hatten am späten Vormittag eine Einigung im Ringen um den Deal verkündet. Der britische Premierminister Boris Johnson hofft nun auf eine Zustimmung des Unterhauses bei einer geplanten Sondersitzung am Samstag. Aber rasch meldeten sich politische Bedenkenträger wieder zu Wort und sorgten für Ernüchterung – Kursgewinne wie gewonnen, so zerronnen.

Später lobte Irlands Ministerpräsident die neue Irland-Klausel im Brexit-Vertrag. Und Merkel sagte „Das ist eine gute Nachricht.“ Boris Johnson appellierte von Brüssel aus an sein Parlament. Die Aktienkurse waren inzwischen aber wieder abgerutscht als klar wurde, dass der Brexit-Schrecken möglicherweise noch nicht zu En de ist. Ich mag mir einen Schrecken ohne Ende wirklich nicht vorstellen.

Als bekennender Europäer, der auch die heftig umstrittene Euro-Einführung positiv begleitet hatte, ist es mir fast egal, zu welchem Ergebnis die Verhandlungsparteien letztlich kommen. Mir wäre am liebsten, wenn die Briten anschließend per Referendum den Beschluss wieder rückgängig machen würden. Das Abendland braucht Großbritannien als wichtige Säule – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Sollte man nach dem aktuellen Kenntnisstand europäische Aktien zumindest langfristig kaufen? Ich weiß nicht.

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