Boeing räumt nach Loch im Rumpf Fehler ein - Darf "nie wieder passieren"

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Washington (Reuters) - Boeing gibt sich nach der Notlandung einer 737 MAX wegen einer im Flug herausgebrochenen Kabinenwand erstmals schuldbewusst.

Dem Flugzeugbauer sei ein Fehler unterlaufen. Das Unternehmen werde mit den Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass so etwas "nie wieder passieren kann", sagte Konzernchef Dave Calhoun am Dienstag (Ortszeit). Vier Tage, nachdem das neue Flugzeug von Alaska Airlines knapp einer Katastrophe entging, veröffentlichte Boeing Aussagen des Chefs auf einer Mitarbeiterversammlung. Das Unglück habe die Boeing-Kunden schockiert und ihn selbst "bis ins Mark erschüttert". Das Unternehmen werde "sicherstellen, dass jedes nächste Flugzeug, das abhebt, sicher ist", versprach Calhoun. "Wir werden die Sache erstens angehen, indem wir unseren Fehler eingestehen." Es soll zudem völlige Transparenz bei jedem Schritt herrschen.

Die US-Luftfahrtbehörde FAA verhängte nach dem Vorfall ein Flugverbot für 171 Flugzeuge dieses Typs, der in Europa nicht im Einsatz ist. Die Behörden hatten sich erleichtert gezeigt, dass es unter den 171 Passagieren und sechs Crew-Mitgliedern nur Leichtverletzte gab. Das Boeing-Management steht nach dem Vorfall unter großem Rechtfertigungsdruck. Einige Branchengrößen kritisierten hinter vorgehaltener Hand, dass die Flugzeuge am Samstag nicht schneller aus dem Verkehr gezogen wurden. Der Flugzeugbauer habe nur an Inspektionsanweisungen gearbeitet, ehe die FAA mit der Notfallanordnung eingriff.

Der zerknirschte Ton jetzt hebt sich ab vom Verhalten der Manager nach den beiden 737-Flugzeugabstürzen vor rund fünf Jahren in Indonesien und Äthiopien mit insgesamt 346 Toten ab. Die Reaktion damals wurde als bürokratisch kritisiert. Der US-Krisenkommunikationsexperte Paul Oestreicher prangerte Boeing dafür an, wochenlang gebraucht zu haben, um Fehler einzugestehen. Calhoun, der damals noch nicht CEO war, habe diesmal viel schneller gehandelt, die Wichtigkeit von Transparenz anerkannt und "etwas Empathie" ausgedrückt.

Die Hauptkunden des Flugzeugtyps, Alaska und United Airlines, fanden in ersten Kontrollen bei weiteren Maschinen lockere Schrauben und lose Teile. Dies hat neue Zweifel an der Konstruktion und dem Zulassungsverfahren der meistverkauften Flugzeugfamilie von Boeing geweckt. Das Unternehmen erklärte Insidern zufolge intern, das "Qualitätskontrollproblem" werde auch beim Zulieferer, dem Rumpfbauer Spirit Aerosystems, geprüft. Boeing hat die Wartungsprotokolle früherer 737-900-Flugzeuge überprüft, die einen ähnlichen Türstöpsel hatten. Bisher habe es keine Anzeichen für ähnliche Probleme gegeben.

IM SCHATTEN VON AIRBUS

Boeing ist wegen vieler Probleme bei seinem Kassenschlager 737 seit nunmehr fünf Jahren dem europäischen Rivalen Airbus unterlegen. Boeing lieferte im vergangenen Jahr nach Daten vom Dienstag 528 Flugzeuge aus nach 480 im Vorjahr. Airbus übertraf nach Informationen von Insidern sein Auslieferungsziel von 720 Flugzeugen mit 735 Jets. Die Zahlen werden am Donnerstag veröffentlicht. Boeings Marktanteil sackte seit der MAX-Krise 2018/2019 von 50 auf rund 40 Prozent ab.

Vom Flagschiffprodukt 737 lieferte Boeing im vergangenen Jahr 396 Exemplare aus. Produktionsprobleme des Rumpflieferanten Spirit AeroSystems waren dafür verantwortlich, dass der Flugzeugbauer sein Auslieferungsziel von ursprünglich 400 bis 450 im Oktober aufgeben musste. Das lag an falsch gebohrten Löchern. Zu den jüngsten Rückschlägen bei der 737-Produktion zählen außerdem lose oder fehlende Teile am Rudersystem sowie eine falsche Befestigung der Halterungen, die den Rumpf mit dem Heck verbinden. Experten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. "Wie viele Produktionsmängel und Qualitätsfehler brauchen Sie, bevor Sie wirklich darüber nachdenken, wie Sie den gesamten Prozess in den Griff bekommen und alles beheben können?", sagte Jeff Guzzetti, ein ehemaliger Flugunfall-Ermittler.

Airlines bestellen unterdessen unverdrossen: Im Dezember verbuchte Boeing 371 Bruttobestellungen, darunter den höchsten monatlichen Absatz der 737 MAX mit 301 Flugzeugen. Die Lufthansa war mit ihrer ersten Order von 40 MAX-8-Fliegern unter den Kunden und will sich zum jüngsten Vorfall nicht äußern. Von einer härteren Gangart der FAA bei der Zertifizierung ist auszugehen, so etwa bei der kleineren MAX 7. Die Ausnahme einer Zertifizierung vor der Konstruktionsänderung kann sich Boeing nach Einschätzung von Analysten aus dem Kopf schlagen. "Die FAA muss Stärke zeigen und streng sein in Sachen Sicherheit", sagte Guzzetti. "Die gemütlichen Tage sind vorbei."

(Bericht von David Shepardson, Valerie Insinna und Tim Hepher. Geschrieben von Ilona Wissenbach und Katharina Loesche. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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