Hongkong im Machtgriff Pekings – Was bedeutet es für die Märkte, wenn die Stadt ihren Sonderstatus mit den USA verliert?

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Es dürfte der bisher stärkste Eingriff in Hongkongs Autonomie werden. Chinas Pläne für ein Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in der Sonderverwaltungsregion gelten als historischer Wendepunkt für die ehemalige britische Kronkolonie. Mit dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ war den sieben Millionen Hongkongern bei der Rückgabe 1997 an China eigentlich versprochen worden, dass ihre Rechte und Freiheiten für 50 Jahre unangetastet bleiben würden.

Was hat es mit dem Gesetz auf sich?

Das Gesetz soll Aktivitäten, die als Gefahr für die nationale Sicherheit betrachtet werden, „verhindern, stoppen und bestrafen“. Der Beschluss nennt eher vage Tätigkeiten, „das Land zu spalten, die Staatsgewalt zu untergraben“ sowie „terroristische Aktivitäten und anderes Verhalten, das die nationale Sicherheit ernsthaft gefährdet“. China wendet sich auch entschieden gegen Einmischung in Hongkongs Angelegenheiten „durch ausländische und externe Kräfte, egal in welcher Form“. Es wolle „notwendige Gegenmaßnahmen“ ergreifen.

Wann tritt das Gesetz in Kraft?

Der Volkskongress hat nun zunächst nur über einen Beschluss abgestimmt, nicht über das fertige Gesetz. Der Beschluss ermächtigt allerdings dem Ständigen Ausschuss des Parlaments, ein nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong auszuarbeiten und in den Annex des Hongkonger Grundgesetzes einzufügen, womit es dort in Kraft tritt. Katja Drinhausen vom China-Institut Merics in Berlin rechnet damit, dass dies schon „in den kommenden Monaten“ geschieht.

Welche rechtliche Grundlage gibt es für das Gesetz?

Tatsächlich hat Peking die Möglichkeit, gewisse Gesetze über den Annex der Hongkonger Mini-Verfassung auf den Weg zu bringen. Allerdings galt für das Sicherheitsgesetz bisher ein anderer Weg: Artikel 23 der Verfassung gibt der Sonderverwaltungsregion das Recht und die Pflicht, selbst eine nationale Sicherheitsgesetzgebung auszuarbeiten. Aufgrund öffentlichen Widerstands ist dies in den mehr als zwei Jahrzehnten seit der Rückgabe an China allerdings nicht geschehen. Nun legt Peking selbst Hand an. Zwar müssen laut Merics-Expertin Drinhausen auch noch die Hongkonger Regierung und das Basic Law Committee der Stadt konsultiert werden, dabei sei aber kein grundlegender Widerstand zu erwarten.

Soll Chinas Staatssicherheit in Hongkong aktiv werden?

Das ist nicht mehr auszuschließen. Obwohl sich chinesische Regierungsstellen bisher aus der konkreten Verwaltung Hongkongs herausgehalten hatten, sollen künftig „wenn nötig“ auch „zuständige nationale Sicherheitsorgane der Zentralregierung“ jeweils Vertretungen in Hongkong einrichten, „um die betreffenden Verpflichtungen zur Sicherung der nationalen Sicherheit nach dem Gesetz zu erfüllen“, wie es heißt.

Warum jetzt?

Offenbar ist Chinas Führung zu dem Schluss gekommen, dass es die Proteste in Hongkong anders nicht unter Kontrolle bringen kann, als die Zügel auf diese Weise sehr viel enger zu ziehen. Seit vergangenen Sommer hat Hongkong Woche für Woche Demonstrationen erlebt. Zum Teil waren mehr als eine Millionen Menschen auf der Straße. Auch kam es zu schweren Ausschreitungen. Auslöser war ein Auslieferungsgesetz. Es sollte ermöglichen, von Chinas Justiz verdächtigte Hongkonger in die Volksrepublik zu überstellen. Nach den Massenprotesten zog die Hongkonger Regierung das Vorhaben zurück.

Was wollen die Demonstranten?

Vor allem echte Demokratie, wie es den Hongkongern bei der Rückgabe 1997 an China in Aussicht gestellt worden war. Die Demonstrationen richten sich gegen die von Peking eingesetzte Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei bei den Protesten und den langen Arm der kommunistischen Führung. Die Proteste flauten zum Jahresanfang etwas ab – dann kam die Corona-Pandemie. Jetzt haben die Gesetzespläne die politische Atmosphäre neu aufgeheizt.

Muss China mit internationalen Sanktionen rechnen?

Die Pläne stoßen weltweit auf scharfe Kritik – in Deutschland, der EU und ganz besonders aber von Seiten der USA. Ohnehin ist das Verhältnis der beiden Großmächte schwer belastet. Noch bevor in Peking der Beschluss gefasst wurde, die Pläne weiterzuverfolgen, informierte US-Außenminister Mike Pompeo den Kongress in Washington, dass die US-Regierung den vorteilhaften Sonderstatus für Hongkong angesichts der zunehmenden Einmischung Chinas in der eigentlich autonomen Metropole nicht mehr für gerechtfertigt hält. „Kein vernünftiger Mensch kann heute behaupten, dass Hongkong angesichts der Tatsachen vor Ort ein hohes Maß an Autonomie gegenüber China bewahrt“, sagte Pompeo in einer Erklärung.

Was geschieht jetzt nach dieser Neubewertung?

Welche Konsequenzen es hat, muss sich noch zeigen. Der amerikanische Sonderstatus  Hongkongs hat für Unternehmen und Bürger große Bedeutung. Zum Beispiel gelten die gegen China verhängten US-Strafzölle bislang nicht für Einfuhren der USA aus Hongkong. Ein Entzug der Vorteile könnte auch die Rolle Hongkongs als internationaler Wirtschafts- und Finanzstandort in Gefahr bringen. Es gilt mit seinem freien Wirtschaftssystem als wichtiges Tor zu China. Das jährliche Handelsvolumen für Waren und Dienstleistungen zwischen den USA und Hongkong betrug zuletzt 67 Milliarden US-Dollar.

Auch US-Präsident Donald Trump sieht die Zukunft des Finanzstandorts Hongkong durch Chinas Pläne für ein Sicherheitsgesetz in der Sonderverwaltungszone gefährdet. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, sagte am Dienstag im Weißen Haus, der Präsident sei „verärgert“ über Chinas Vorgehen. Es sei schwierig zu erkennen, wie Hongkong ein Finanzzentrum bleiben könne, wenn China die umstrittenen Pläne vorantreibe.

Trump wurde später von Journalisten im Weißen Haus nach etwaigen Maßnahmen gegen China gefragt. „Wir machen derzeit etwas, ich denke, das werden Sie sehr interessant finden“, sagte er. Er wolle darüber noch nicht sprechen, werde sich aber vor dem Ende der Woche dazu äußern.

Auch Analysten äußern ihre Sorge. So sieht Mark Williams, Chefökonom für Asien bei Capital Economics, einen wichtigen Vorteil Hongkongs gegenüber Festlandchina in Gefahr, wenn „er Verlust des Sonderstatus die USA dazu veranlasst, den Verkauf sensibler Technologien an Unternehmen in Hongkong zu beschränken“.  „Jüngste Umfragen der amerikanischen Handelskammer zeigen, dass US-Firmen bereits planen, ihre Investitionen in die Stadt zurückzufahren. Ein Großteil des Erfolgs von Hongkong basiert auf seiner Fähigkeit, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und die Produktivitätsdividenden zu genießen, die sich aus der Aufnahme international wettbewerbsfähiger Unternehmen ergeben“, wird der Ökonom vom US-Nachrichtendienst CNBC zittiert.

Noch ein weiterer Punkt ist, dass die USA es durch ein neues Gesetz für chinesische Firmen erschweren, an US-Börsen gelistet zu sein. Hongkong ist für viele ein Plan B für ein neues oder zumindest ein Zweitlisting. Sollte Hongkong seinen Status als internationales Finanzzentrum jedoch verlieren, könnte das zu weiteren Verwerfungen an den Aktienmärkten führen.

Handelsstreit: Neues US-Gesetz ebnet Weg, chinesische Firmen von den US-Börsen auszuschließen - Wird der Konflikt mit den näher rückenden US-Wahlen wieder eskalieren?

onvista-Redaktion/dpa-AFX

Titelfoto: Rasto SK / Shutterstock.com

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