Kutzers Zwischenruf: Die schwere Entscheidung zwischen Risiko und Chance

Hermann Kutzer · Uhr

Die konjunkturellen Aussichten sind finster. Eine Rezession oder Stagflation steht vor der Tür. Die entsprechenden ZEW-Indikatoren lassen momentan keine anderen Folgerungen zu – kein Wunder angesichts des Kriegs in der Ukraine, der nicht nur politisch weltweit ausstrahlt. Deshalb kann ich gut nachvollziehen, wenn viele Privatanleger dazu neigen, ihre Depots vorsichtshalber abzubauen. Müsste die Börse in einem solchen Umfeld nicht noch viel tiefer in die Knie gehen? Andererseits werden Sie sich vielleicht ärgern, geschätzte Leser, nicht schon früher ausgestiegen zu sein. Und jetzt kommt nicht einmal von den technischen Analysten Trost: Der zuletzt immer wieder thematisierte Abwärtsmodus ist weiterhin intakt. Für eine Kehrtwende nach oben müssten nach wie vor sämtliche Gleitende Durchschnitte überschritten werden. Diese verlaufen in einer Dax-Spanne von 15.499 bis 14.751.

Es gibt aber einen anderen Aspekt, den man zur Beruhigung heranziehen kann. Was sich im vergangenen Jahr wieder einmal abzeichnete, hat sich mittlerweile bestätigt: Konjunktur- und Börsenprognosen sind gerade im Fall internationaler Krisen und Katastrophen (Pandemie, Krieg) besonders wacklig. Sie müssen kurzfristig (oft innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten) überarbeitet und korrigiert werden. Dementsprechend schwankt auch die Stimmungslage der Marktteilnehmer. Das bedeutet: Was die Fakten und Sentiment-Umfragen jetzt signalisieren, kann bald schon anders aussehen. Eine Rezession ist also keineswegs zwangsläufig. Andererseits kann aber alles auch noch schlimmer kommen.

Die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland fallen in der aktuellen Umfrage vom März so stark wie noch nie zuvor – es ist der stärkste Rückgang der Erwartungen seit Beginn der Umfrage im Dezember 1991. Die Einschätzung der konjunkturellen Lage verschlechtert sich in der aktuellen Umfrage ebenfalls. Die Experten gehen davon aus, dass eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Entwicklung noch im März spürbar sein wird. Und die Erwartungen für die Inflationsrate steigen sprunghaft. „Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher. Der Ukrainekrieg und die Sanktionen gegen Russland verschlechtern den wirtschaftlichen Ausblick für Deutschland ganz erheblich“, interpretieren die Mannheimer Forscher ihre Umfrageergebnisse. Dabei betrifft die Verschlechterung des Ausblicks praktisch alle Branchen der deutschen Wirtschaft, vor allem aber die energieintensiven Bereiche und den Finanzsektor. An der Umfrage im Rahmen des ZEW – Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung haben sich 162 Analysten und institutionelle Anleger beteiligt.

Ich befürchte: Das aktuelle Stimmungsbild kann sich also noch weiter eintrüben – schon bald! Es ist aber nicht auszuschließen, dass es sich deutlich – und nachhaltig – wieder aufhellt, falls die diplomatischen Bemühungen um eine Beendigung des Ukraine-Konflikts Erfolge zeitigen. Mit der Wiederbelebung des grenzüberschreitenden Handels und der Reaktivierung der Lieferketten könnte die Wirtschaft zügig neues Wachstum entfalten. Und die Börsen würden jubeln.

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