OTS: Verband der Chemischen Industrie (VCI) / Halbjahresbilanz der ...

dpa-AFX · Uhr
    Halbjahresbilanz der chemisch-pharmazeutischen Industrie 2022 /
Standort Deutschland bekommt zunehmend Wettbewerbsproblem
Frankfurt/Main (ots) -

- Preise für Rohstoffe und Energie im ersten Halbjahr sprunghaft gestiegen
- Produktion wächst kaum (+0,5 %); ohne Pharmaanteil Rückgang um 3 %
- Prognose für die Produktion im Gesamtjahr 2022: Menge sinkt um 1,5 %
- Gasversorgung: gemeinsam Lösungen erarbeiten
- Priorisierung und Neubewertung der politischen Agenda in der EU nötig
- Genehmigungsverfahren auch für Industrieprojekte beschleunigen

Die chemisch-pharmazeutische Industrie hatte im ersten Halbjahr zahlreiche
Herausforderungen zu bewältigen: Lange Lieferzeiten und hohe Frachtkosten sowie
Engpässe bei Vorleistungen und Materialien behinderten die Geschäftstätigkeit
der Unternehmen. Hinzu kamen sprunghaft steigende Preise für Rohstoffe und
Energie, vor allem für Erdgas. In diesem schwierigen Umfeld konnte die Branche
ihre Produktion mit 0,5 Prozent nur wenig ausweiten, wie aus der Bilanz des
Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) für die ersten sechs Monate hervorgeht.
Ohne Pharma sank die Produktion sogar um 3 Prozent. Die steigenden
Produktionskosten konnten zum Teil an die Kunden weitergegeben werden. Durch die
Entwicklung der Erzeugerpreise (+21,5 %) legte der Branchenumsatz um 22 Prozent
auf 130 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr zu.

Das Umsatzplus überdeckt die wirkliche wirtschaftliche Lage in Deutschlands
drittgrößtem Industriezweig: Die Verkaufsmengen im klassischen Chemiegeschäft
sind rückläufig, der Auftragsbestand ist weitgehend abgebaut und die
Kapazitätsauslastung der Anlagen ist auf 80 Prozent gesunken. Gleichzeitig
geraten die Gewinnmargen vieler Unternehmen zunehmend unter Druck, da die Kosten
für Rohstoffe und Energie von Januar bis Juni im Schnitt um mehr als ein Drittel
im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Bei einem beträchtlichen Anteil der
Unternehmen - über 20 Prozent - lag der Anstieg sogar bei mehr als 50 Prozent.
Das hat der VCI durch eine für die Branche repräsentative Mitgliederumfrage
ermittelt. Gleichzeitig wird es für die Unternehmen immer schwieriger, höhere
Kosten durch Preisaufschläge an die Kunden weiterzugeben. Über 50 Prozent
konnten nur weniger als die Hälfte des Kostenanstiegs überwälzen. Dies wirkte
sich in Verbindung mit dem rückläufigen Verkaufsmengen negativ auf die
Ertragslage der Unternehmen aus. Rund 70 Prozent der Unternehmen berichten über
einen Gewinnrückgang, davon sind einige bereits in die Verlustzone geraten.

Fast alle Geschäftsbereiche der Branche mussten im ersten Halbjahr 2022
Produktionseinbußen hinnehmen. Besonders schwer traf es das Segment Fein- und
Spezialchemie mit einem Rückgang von 9 Prozent. Die Hersteller von anorganischen
und organischen Grundstoffen sowie von Konsumchemikalien mussten ihre Produktion
nur wenig drosseln (-0,5 %). Allein die Sparte Polymere behauptete sich im
ersten Halbjahr mit einem Zuwachs von 3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die
Herstellung von Pharmazeutika erreichte dank einer coronabedingten
Sonderkonjunktur ein Plus von 8,5 Prozent.

Ausblick und Prognose

Auch für die zweite Jahreshälfte erwartet der VCI einen hohen Ertragsdruck für
die Branche: "Eine spürbare Entspannung bei den Energie- und Rohstoffkosten
sehen wir derzeit nicht. Erdgas dürfte auch weiter deutlich teurer sein als in
anderen Regionen der Welt. Vor diesem Hintergrund bekommt der Standort
Deutschland zunehmend ein Wettbewerbsproblem - nicht nur in den
energieintensiven Sektoren", sagte VCI-Präsident Christian Kullmann. Der Verband
geht jetzt für das Gesamtjahr 2022 - bei preisintensiver, aber ausreichender
Energie- und Rohstoffversorgung - von einem Rückgang der Produktion der Branche
von 1,5 Prozent aus. Für das reine Chemiegeschäft rechnet er sogar mit 4 Prozent
weniger Menge. Viel hänge aber von den industriepolitischen Weichenstellungen
der kommenden Monate in Deutschland und Europa ab, betonte Kullmann.

Gasversorgung: Gemeinsam Lösungen erarbeiten

Im Austausch mit der Bundesregierung und der Bundesnetzagentur bereitet sich die
Branche auf verschiedene Szenarien der Drosselung der russischen Gaslieferungen
vor. "Von der Vernunft getragen und in einem konstruktiven Sinne suchen wir
gemeinsam nach Lösungen", beschrieb Kullmann den Charakter der Gespräche.
Pragmatisches Handeln verkörpere auch die Verabschiedung der Gesetze zur
Reduktion des Gasverbrauchs und der Bereithaltung von Ersatzkraftwerken in
dieser Woche. Kullmann: "Keiner will mehr Kohlemeiler. Aber in der jetzigen Lage
helfen sie uns, vorübergehend mit der Gas-Mangellage umgehen zu können." Die
Branche sei der Bundesregierung für die Zusagen dankbar, alle zur Verfügung
stehenden Kohlekraftwerke wieder ans Netz nehmen zu dürfen.

Priorisierung und Neubewertung der politischen Agenda der EU

Diesen politischen Pragmatismus vermisst der VCI in Brüssel. Aus seiner Sicht
muss die Balance zwischen Umwelt- und Klimaagenda und dem Erhalt der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit neu justiert werden. Vielen Beamten in der
Kommission sei der Bezug zur Realität in den Betrieben und den Märkten
weitgehend verloren gegangen, so Kullmann. Auf EU-Ebene sind derzeit rund 150
Regulierungen mit oft milliardenschwerer Wirkung auf die Industrie in Planung
oder Ausarbeitung. "Wir fordern eine klare Priorisierung der Gesetzesvorhaben,
die Europa jetzt wirklich braucht. Vor allem unser Mittelstand kommt mit dem
Brüsseler Tsunami von Vorschriften einfach nicht mehr mit", kritisierte er. Die
Regulierungswelle sei weder für die Mitgliedstaaten noch für die Unternehmen
konstruktiv zu begleiten. "Lasst uns wichtige Regulierung gemeinsam vorantreiben
- und den ganzen Rest aufsparen für ruhige Zeiten", appellierte der
VCI-Präsident an die Institutionen der EU.

Ähnliches gelte für den geplanten CO2-Grenzausgleich, für den sich das
EU-Parlament ausgesprochen hat. Diese Maßnahme, so der VCI, funktioniere aber
für die Branche als Alternative zu kostenlosen Zertifikaten nicht. Vor allem für
den Umgang mit Exporten sei keine Lösung erkennbar und eine WTO-konforme
Ausgestaltung "stehe in den Sternen". In den Verhandlungen zwischen Rat und
Parlament müssten diese Punkte dringend geklärt werden. Erfolg versprechender
sei es, wie jüngst von den G7 auf dem Gipfel in Elmau angekündigt, Initiativen
für den globalen Klimaschutz über einen "Klimaclub" voranzutreiben, betonte
Kullmann. "Die Zukunft gehört nicht dem, der sich abschottet, sondern dem, der
Partner für seine Ideen gewinnt."

Genehmigungsverfahren auch für Industrieprojekte beschleunigen

Der VCI plädiert dafür, das Prinzip "erst bauen und später genehmigen" nicht nur
für die dringend benötigten LNG-Terminals zur Anlandung und Einspeisung von
Flüssiggas anzuwenden, sondern auch auf die Zulassung von Industrieprojekten
auszuweiten, um die Transformation der Wirtschaft zu beschleunigen und den
Standort attraktiver zu machen. Denn die Zahl der ausländischen
Investitionsprojekte sinkt seit 2017 spürbar. Im Kern wegen hoher Energiekosten,
großer bürokratischer Hürden und vor allem wegen der langatmigen Genehmigungen,
wie Analysen von Ernst & Young aktuell belegen.

Daher fordert der VCI ein Gesetz zur Beschleunigung der Planungs- und
Genehmigungsverfahren, das auch die Zulassung von Industrieanlagen
miteinschließt. Denkverbote in der Politik könne man sich in der derzeitigen
Situation nicht leisten. Entwürfe für ein solches Gesetz liegen in Berlin längst
in der Schublade. Doch die Verabschiedung des Bund-Länder-Pakts zur
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren lässt auf sich warten.
"Die Chance, zeitnah Maßnahmen mit bundesweiter Wirkung zu erlassen, ist gerade
auf der Konferenz von Bund und Ländern vertan worden. Das ist ein folgenschwerer
Fehler", stellte Kullmann fest.

Der VCI hat Mitte Februar ein Konzept vorgelegt, wie die Planungs- und
Genehmigungsverfahren überall in Deutschland verkürzt werden können, ohne dass
darunter Sorgfalt und Sicherheit leiden. Rund 1.500 Verfahren zu
Industrieanlagen auf Basis des Bundesimmissionsschutzgesetzes werden etwa pro
Jahr in Deutschland abgewickelt. Solche Verfahren mit
Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung dauern bis zur
Genehmigung derzeit in der Regel fünf bis acht Jahre.

Logistikprobleme auf der Schiene spitzen sich zu

Der Schienenverkehr ist derzeit extrem belastet. Das spürt die Branche bei der
Belieferung mit Rohstoffen und Gütern. Der VCI warnte vor zusätzlichen
Verschlechterungen durch anstehende Baumaßnahmen, die zu Rückstau, zur
Überlastung von Knotenpunkten und zu Verzögerungen führen. Diese
Einschränkungen, sagte Kullmann, stellten eine hochgradige Gefährdung für die
Standorte der Branche dar. "Richtig ist, dass das Schienennetz ertüchtigt wird.
Aber bitte nicht überall gleichzeitig, so dass keine Züge mehr unterwegs sein
können." Als "Lösung" hat die DB Cargo der Branche nahegelegt, 20 Prozent ihrer
Transporte von der Schiene auf den Lkw zu verlagern, obwohl die Verkehrsdichte
auf der Straße ebenfalls hoch ist und zudem Lkw-Fahrer fehlen. Stattdessen
fordert der VCI, dass die Bauarbeiten an Parallel-Trassen entzerrt und der
Dialog mit der Kundengruppe Industrie optimiert werden muss.

Hinweis: Alle weiteren Unterlagen zur PK auf: https://www.vci.de/presse

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) vertritt die Interessen von rund
1.900 Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie und chemienaher
Wirtschaftszweige gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft,
der Wissenschaft und den Medien. 2021 setzten die Mitgliedsunternehmen des VCI
rund 220 Milliarden Euro um und beschäftigten über 530.000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter.

Pressekontakt:

VCI-Pressestelle:
Telefon: 069 2556-1496
E-Mail: mailto:presse@vci.de
http://twitter.com/chemieverband

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/12523/5266304
OTS:               Verband der Chemischen Industrie (VCI)

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