Rekord-Arbeitslosigkeit, drohende Pleitewellen und zerbrechliche Lockerungsmaßnahmen – Das derzeitige Niveau der Aktienmärkte ist laut einigen Analysten angesichts der Fundamentaldaten äußerst fragil

onvista · Uhr

Die Furcht vor einer zweiten Coronavirus-Infektionswelle bereitet der Erholung der europäischen Börsen ein vorläufiges Ende.

„Wir sind uns alle bewusst, dass die Wiedereröffnung der Wirtschaft deutlich schwieriger wird als ihre Schließung“, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Dax und EuroStoxx50 verloren am Montag nach anfänglichen Gewinnen. Der deutsche Leitindex sank auf 10.794 Punkte mit einem Minus von 1 Prozent. Für den Eurostoxx ging es um 1,1 Prozent auf 2874 Punkte runter.

Sorgen bereiteten Börsianern die wieder erhöhte Ansteckungsrate in Deutschland und die wieder steigenden Infektionszahlen in Südkorea. „Statt neuer Lockerungen könnten erneute Restriktionen folgen“, warnte Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. „Länder, die noch immer an den strikten Maßnahmen festhalten, dürften deshalb genau wie die Investoren die Situation in den kommenden Tagen genau verfolgen.“ Dies trieb einige Investoren in den „sicheren Hafen“ Gold. Die „Antikrisen-Währung“ verteuerte sich um 0,4 Prozent auf 1707,19 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm).

Ölpreis erneut unter Druck – Bitcoin auf Talfahrt

Die Furcht vor einer neuen Infektionswelle trübe die Stimmung am Rohölmarkt, sagte Volkswirt Howie Lee der Bank OCBC. „Das Letzte, was die Leute wollen, ist ein erneuter Lockdown.“ Andere Börsianer wiesen darauf hin, dass außerdem das anhaltende Überangebot auf den Kursen laste. Wegen der Pandemie ist die Nachfrage in den vergangenen Monaten um etwa ein Drittel eingebrochen. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich am Montag um knapp drei Prozent auf 30,07 Dollar je Barrel (159 Liter).

Daneben brach der Bitcoin-Kurs um gut 15 Prozent auf 8494,72 Dollar ein, konnte sich aber im Tagesverlauf wieder etwas auf 8800 Dollar erholen. „Ein Teil der Anleger scheint wenige Stunden vor dem ‚Halving‘ kalte Füße zu bekommen“, sagte Analyst Timo Emden von Emden Research. Mit „Halving“ bezeichnen Experten die automatische Halbierung der Bitcoin-Menge, die in einem bestimmten Zeitraum durch „Schürfen“ neu geschaffen werden kann und Inflation verhindern soll. Seit Mitte März hatte sich der Kurs der ältesten und wichtigsten Cyber-Devise fast verdreifacht. Viele der früher eingestiegenen Investoren dürften die Aufmerksamkeit rund um das Event auch schlicht als Gewinnmitnahme genutzt haben.

Bitcoin: Countdown bis zum Halving - Mögliche Preis-Szenarien und alles was man zu diesem Ereignis wissen muss

Analysten mit düsteren Prognosen für die weitere Entwicklung an den Märkten

Wie zerbrechlich die positive Stimmung an den Aktienmärkten der letzten Wochen ist, machen die warnenden Stimmen einiger Analysten der letzten Tage deutlich. Doug Ramsey, Chief Investment Officer der Leuthold Group, sprach in einer Kundenmitteilung die Warnung aus, dass die desolate Wirtschaftslage die Aktienmärkte durchaus noch heftiger einholen könnte. „Die bisherige Abstrafung an den Aktienmärkten passt noch nicht zu der tatsächlichen Schwäche der Wirtschaft“, so der Analyst.  „Die Tiefe und Dauer dieses wirtschaftlichen Unglücks sind nicht bekannt, aber die Werte spiegeln es noch nicht wider. Die S & P 500-Bewertungen sind 30-40 Prozent höher als selbst auf dem vergleichsweise flachen Markttief von 2002“, womit er auf die Zeit nach dem großen Dotcom-Crash in den 2000ern anspielt.

„Wenn der Median der S & P 500-Aktie auf die durchschnittliche Bewertung der letzten drei Bärenmarkttiefs gesenkt würde, müsste sie gegenüber dem Niveau von 30. April um weitere 46 Prozent fallen. Wenn wir mitspielen und davon ausgehen, dass die Bewertungen auf dem“ reichsten“ Niveau liegen, das jemals auf einem Bärenmarkttief zu sehen war, verbleiben bei der durchschnittlichen S & P 500-Aktie noch 32 Prozent Abwärtskurs“, so die pessimistische Prognose von Ramsey, die er gegenüber dem US-Branchenportal Marketwatch geäußert hatte.

Pleitewellen, Explosion der Arbeitslosenzahlen

Die Fundamentaldaten der US-Wirtschaft sprechen für sich: über 20 Millionen Amerikaner haben seit der Corona-Krise ihren Job verloren, die Arbeitslosenrate liegt bei 15 Prozent. Das sind die schlechtesten Werte seit dem Zweiten Weltkrieg. Zudem sind die Infektionszahlen in den USA die höchsten der Welt.

Aber auch in Europa sieht es neben  extrem hohen Kurzarbeitszahlen für die Unternehmen nicht rosig aus, wie eine Studie der Allianz-Tochter Euler Hermes nun zeigt, die vor einer großen Pleitewelle warnt. Weltweit dürften die Insolvenzen 2020 um 20 Prozent steigen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Für Europa wird eine Zunahme der Pleiten von 19 Prozent und in den USA von 25 Prozent prognostiziert. Für Deutschland sieht die Studie mindestens 10 Prozent mehr Insolvenzen als im Vorjahr.

Vor allem für Unternehmen, die schon vor Corona finanziel auf Kante genäht waren, werde es immer schwieriger, sich aus dem Abwärtsstrudel zu befreien, so die Studie. Allein in der Eurozone gebe es schätzungsweise 13.000 sogenannte „Zombie-Unternehmen“ mit Gesamtumsätzen von rund 500 Milliarden Euro. „Sie haben sich durch die andauernde Niedrigzinsphase noch über Wasser halten können. Doch durch Corona könnte es für viele eng werden“.

Der Handelsstreit als weiterer Belastungsfaktor

In den vergangenen Tagen sind zudem auch die Spannungen zwischen den USA und China wieder gewachsen, wiederholte Beschuldigungen der USA, dass China die Schuld an der Pandemie trage, sowie dass das Virus seinen Ursprung in einem Labor in Wuhan hatte, haben für Unruhe gesorgt. Sogar eine neue Zolldrohung hatte Trump fallen lassen. In einer telefonischen Absprache hatten jedoch beide Verhandlungspartner bekräftigt, sich an den abgeschlossenen Phase-1-Deal halten zu wollen.

Ob das jedoch in der Realität so eingehalten werden kann, ist fraglich. Die Coronavirus-Pandemie wird laut einer Prognose des Think Tank Center for Strategic and International Studies dazu führen, dass Chinas Käufe von US-Waren in diesem Jahr weit hinter dem zurückbleiben, was im Handelsabkommen vereinbart wurde.

Der amerikanische Think Tank prognostiziert, dass die Exporte von US-Waren nach China für das gesamte Jahr 2020 nur 60 Milliarden US-Dollar betragen könnten. Das wären viel weniger als die 186,6 Milliarden US-Dollar, die erforderlich sind, um die Anforderungen des im Januar unterzeichneten Abkommens zu erfüllen.

Diese Prognose sei „zugegebenermaßen“ ein „Worst-Case-Szenario“, da die chinesischen Käufe von US-Waren später im Jahr steigen könnten, wenn sich die Wirtschaft erholt, aber jeder Anstieg „wird das Gesamtbild nicht ändern, nur die Details“, so Scott Kennedy, Senior Advisor und Trustee Chair für chinesische Wirtschaftswissenschaften bei CSIS, gegenüber dem Nachrichtendienst CNBC.

Diesen Umstand könnte Trump als Anlass nehmen, den Druck auf China erneut zu erhöhen, sei es durch weitere politische Angriffe oder tatsächlich auch weitere wirtschaftliche Maßnahmen wie Strafzölle. Gründe dafür hätte er mehrere. Zum einen der auf fundamentaler Ebene stattfindende Machtkampf zwischen den beiden Nationen darum, wer künftig die Wirtschaftsmacht Nummer eins sein soll. Zum anderen steht Trump wegen der anstehenden US-Wahlen unter Druck. Sein bisheriges Hauptargument, die unter seinem Regime stark angezogene Wirtschaft, kann er wegen der Corona-Pandemie und allen bekannten Folgen nicht mehr ausspielen. Er muss daher einen Sündenbock finden, auch um die teils schlechte Handhabung der US-Regierung mit der Pandemie, die international wie im eigenen Land scharf kritisiert wird, zu kaschieren. China scheint das geeignetste Ziel zu sein, um als Schuldiger zu dienen. Sollte der Streit wieder eskalieren, dürfte das auch an den Börsen für zusätzliche Turbulenzen sorgen.

onvista-Redaktion/reuters

Titelfoto: J.J. Gouin / Shutterstock.com

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