Ein offener Brief an Rezo

Stefan Riße · Uhr

Lieber Rezo,

es ist klasse, was Du mit Deinem Video an Diskussionen in der Republik ausgelöst hast. Chapeu! Jegliches Dich nicht ernst nehmen durch meine Generation oder von wem auch immer, weil Du blaue Haare hast, oder im Youtuber-Stil agierst, disqualifiziert diese Kritiker komplett. Es geht um die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem was Du vorträgst. Dies will ich in dieser Ausgabe meiner Kolumne tun, und dabei auch nur in Bezug auf den ersten Teil Deines Videos, der sich mit der Einkommens-, Vermögens- und Steuersituation in Deutschland beschäftigt. Dabei sind Deine Feststellungen nicht falsch, die CDU hat damit aber nur sehr wenig zu tun. Das schreibe ich nicht deswegen, weil mir die CDU am Herzen liegt. Die sind mir nach den jüngsten Kommentaren Ihrer Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zu Deinem Video und der Meinungsäußerung in den digitalen Medien noch mehr egal, als schon zuvor. Mir kommt es darauf an, dass die wirklichen Ursachen der aufgezeigten Entwicklung verstanden werden.

Wirtschaftswissenschaft ist keine Naturwissenschaft

Du beziehst Dich auf verschiedene Quellen zur Belegung Deiner These, dass die Schere zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter auseinander gegangen ist. Eine Quelle geht auf eine Studie des französischen Volkswirtes Thomas Pikettys zurück. Dieser ist ziemlich umstritten und wurde von sehr vielen anderen Volkswirten wiederlegt. Doch das bedeutet gar nicht so viel. Wichtig ist zu wissen, dass die Wirtschaftswissenschaft keine Wissenschaft im Sinne einer Naturwissenschaft wie Mathematik oder Physik ist, wo durch einen Versuch oder eine andere Formel ein Beweis für die Richtigkeit der Theorie erbracht werden kann. Wirtschaftswissenschaft ist im Grunde eine Pseudowissenschaft. Zu jeder Studie gibt es fast immer auch eine, die angeblich das Gegenteil beweist. Es kommt immer auf die Zahlen und Zeitreihen an, die man verwendet. Pikettys Berechnungen bemühen sich schon sehr, den Unterschied zwischen Arm und Reich besonders extrem aussehen zu lassen. Doch wie auch immer, die grundsätzliche These stimmt, das streiten auch die Wirtschaftswissenschaftler nicht ab, die eher dem gegensätzlichen Lager von Piketty angehören. Wobei die Armen absolut gesehen nicht ärmer wurden, sie erlebten im Gegensatz zu den Reichen nur keine oder so gut wie keine realen Einkommenssteigerungen mehr. Der Punkt ist nur: Mit der CDU hat das alles wenig zu tun.

Veränderungen gehen auf Rot-Grüne Bundesregierung zurück

Die immer stärkere Ungleichverteilung geht vor allem auf globale Phänomene zurück. Wenn es dafür aber einen innenpolitischen Auslöser gab, dann fiel dieser nicht in die erwähnten 29 Jahre CDU-Regierung, sondern in die siebenjährige Rot-Grüne Koalition von 1998 bis 2005. Hier wurden mit der Agenda 2010 Sozialabgaben gekürzt und der Spitzensteuersatz, den also die sehr gut verdienenden bezahlen, gesenkt von 53 auf 42 Prozent. Auch Unternehmen wurden steuerlich entlastet. Grund dafür war nicht, dass man die Reichen reicher und die Armen ärmer machen wollte. Das würde man diesen beiden Parteien im Unterschied zu CDU und FDP wohl auch nicht unterstellen. Die Idee dahinter war, Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen, denn zu diesem Zeitpunkt war das Land das Schlusslicht Europas mit fast fünf Millionen Arbeitslosen. Dass die Einkommen der Reichen aber so extrem viel schneller wuchsen, hatte andere Gründe.

Notenbankpolitik und Globalisierung sorgen für Einkommensspreizung

Die Globalisierung und der technische Fortschritt haben vieles in den vergangenen rund 30 Jahren verändert. Durch die Automatisierung und die Verlagerung von Produktion in Billiglohnländer, sind viele Güter ständig billiger geworden. Bekleidung, Unterhaltungselektronik etc. Dadurch gab es keine große Inflation mehr, also für die Verbraucher steigende Preise. Im Gegenteil. Die Notenbanken der Welt, die das Zinsniveau bestimmen, hatten permanent Angst, es könnte zu in Summe sinkenden Preisen kommen, also zu Deflation. Und davor haben Notenbanker immer Angst, weil dies schnell zu einer Wirtschaftskrise führt. Denn sinken die Preise, warten die Leute mit Käufen und Unternehmen mit Investitionen, eben auch weil sie ihre eigenen Produkte dann nur noch billiger losschlagen können. So senkten die Notenbanken in jeder aufkommenden Krise die Zinsen und mittlerweile sogar auf null, wie wir wissen, um die Kreditaufnahme anzukurbeln. In der Summe sind die Kredite in den letzten 30 Jahren rund zweimal so schnell gewachsen wie die Weltwirtschaft. Und da Geld in unserem Wirtschaftssystem durch neuen Kredit entsteht, wuchs damit auch die Geldmenge in doppelter Geschwindigkeit zur Realwirtschaft. Diese Geldmengenausweitung führte zu starken Preissteigerungen bei den Vermögenspreisen wie Aktien und Immobilien. Und da die „Reichen“ diejenigen sind, die Aktien und Immobilien besitzen, sind deren Einkommen so überproportional gewachsen. Denn das meiste an Einkommensanstieg ging auf Kapitaleinkommen und nicht auf Lohneinkommen zurück. Brechen die Preise von Aktien und Immobilien irgendwann mal wieder ein, dann wird die Schere in dieser Zeit auch wieder zusammen laufen, weil die „Armen“ dann mangels Aktien- und Immobilienbesitz hier auch nicht von Verlusten betroffen sind.

Mehr Europa und mehr weltweites Handeln sind die einzige Lösung

Das Fazit ist einfach: In einer globalen Welt gehen die meisten Veränderungen auf globale Phänomene zurück und sind durch nationale Politik immer weniger zu beeinflussen. Ich bin kein Klimaforscher, und äußere mich daher auch nicht zu Deinen Feststellungen in dieser Sache, doch dass der CO2-Ausstoß ein vollkommen globales Problem ist, und von Deutschland allein nicht gelöst werden kann, ist wohl unbestritten. Insofern bräuchten wir viel mehr Europa anstatt nationalstaatliches Denken und noch wichtiger weltweite Kooperationen für die großen Probleme unserer Zeit. Leider geht die Entwicklung aktuell in die umgekehrte Richtung.

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