Deutsche Wirtschaft berappelt sich - "Konjunktur schmiert nicht ab"

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- von Reinhard Becker und Christian Krämer und Frank Siebelt

Berlin/Frankfurt (Reuters) - Die Signale für einen Frühjahrsaufschwung in Deutschland mehren sich.

Der als Konjunkturbarometer an den Finanzmärkten stark beachtete Einkaufsmanagerindex stieg im Mai um 1,6 Zähler auf 52,2 Punkte, wie der Finanzdienstleister S&P Global am Donnerstag zu seiner Firmenumfrage mitteilte. Er erreichte den höchsten Stand binnen Jahresfrist. Nachdem im April erstmals seit zehn Monaten die Wachstumsschwelle von 50 Zählern überschritten worden war, konnte die Wirtschaft nun noch einen Zahn zulegen.

"Die heutigen Zahlen bestätigen, dass die deutsche Wirtschaft eine kräftige Frühjahrsbelebung erfahren hat und wieder wächst", meint Robin Winkler, Chefvolkswirt für Deutschland von Deutsche Bank Research. Mittlerweile sieht auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) die Konjunkturaussichten für dieses Jahr nicht mehr so düster wie noch im Winter. Auf Basis einer Umfrage unter mehr als 24.000 Unternehmen geht der Verband nun immerhin von einer Stagnation aus. Im Februar wurde für 2024 noch ein Minus von 0,5 Prozent vorausgesagt. 2023 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,2 Prozent gesunken. Nun erwartet der Verband aber vor allem beim privaten Konsum eine spürbare Verbesserung und wieder Zuwächse von einem Prozent, weil die Inflation merklich zurückgehen dürfte auf nur noch 2,3 Prozent.

"Die Konjunktur schmiert nicht ab", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. "Nach oben geht es aber auch nicht." Vor allem die Baubranche und die meisten Industriezweige seien pessimistisch.

TRENDWENDE IN DER INDUSTRIE?

Das überraschend kräftig gestiegene S&P Global-Barometer für den deutschen Industriesektor im Mai signalisiert allerdings, dass sich der angeschlagene Bereich zusehends berappelt. Trotz des Anstiegs um 2,9 Punkte blieb der Wert mit 45,4 Zählern zwar noch deutlich unter der Wachstumsschwelle: "Dies könnte die Trendwende in der Industrie sein", prophezeit jedoch Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank (HCOB).

Der Auftragseingang wies im Mai erstmals seit über einem Jahr wieder ein Plus aus – ein Anzeichen dafür, dass die zugrundeliegende Nachfrage angezogen hat. Die Impulse gingen auch hier vom Servicesektor aus, wo sich der Auftragszuwachs beschleunigt hat. Mit dazu beigetragen habe auch das erste – wenngleich zaghafte – Plus von den Exportmärkten seit einem Jahr, teilte S&P Global weiter mit. "In Deutschland scheint sich mithin ein klassischer Lagerzyklus zu entfalten, wobei anziehende Auftragseingänge auf leergefegte Vorratslager treffen", so die Einschätzung von Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann. Dies sollte seiner Ansicht nach die Produktion in den kommenden Monaten anschieben.

Auch die Bundesbank geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat. Im zweiten Quartal dürfte die Wirtschaftsleistung demnach erneut etwas steigen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte von Januar bis März um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zugelegt, nachdem es Ende 2023 noch um 0,5 Prozent geschrumpft war.

Und im Euroraum scheint das Rezessionsgespenst ebenfalls vertrieben zu sein: "Der Aufschwung der Eurozone-Wirtschaft hat sich im Mai dank verstärkter Zuwächse bei Auftragseingang und Beschäftigung weiter beschleunigt", teilte S&P Global mit. Wachstumstreiber blieb der Servicesektor, doch auch die Industrieproduktion stabilisierte sich weitgehend.

ZINSWENDE NAHT

Die Wirtschaft der Euro-Zone war im ersten Quartal mit einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,3 Prozent in die Wachstumsspur zurückgekehrt und beendete ihre Rezession. Die Einkaufsmanagerdaten nähren laut Commerzbank-Ökonomen Vincent Stamer die Hoffnung, dass sich die aufkeimende Erholung im zweiten Quartal fortsetzen wird. Die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe sei jedoch noch zu nüchtern für einen massiven Aufschwung: "Noch immer lasten die hohen Leitzinsen der EZB auf der wirtschaftlichen Aktivität."

Doch daran könnte sich bald etwas ändern: Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert aus Sicht ihres Vizepräsidenten Luis de Guindos auf eine erste Zinssenkung zu. Was die Entscheidung bei der Juni-Sitzung betreffe, sei die EZB sehr transparent, sagte der Spanier den "Oberösterreichischen Nachrichten". "Und wir haben einen umsichtigen Zugang, was für eine Senkung um 25 Basispunkte sprechen würde." Die EZB hält seit September 2023 den Einlagensatz - das ist der am Finanzmarkt maßgebliche Zins - bei 4,00 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.

(Mitarbeit Klaus Lauer, redigiert von Christian Rüttger - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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