Goldpreis: Das Enttäuschungs-Potenzial ist hoch
Henry Philippson

Heute Abend nun steht der mit Spannung erwartete Zinsentscheid der US-Notenbank an. Laut dem "Fed Watch Tool" der Terminbörse CME wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 94 Prozent erwartet, dass die US-Notenbank zum ersten mal im Kalenderjahr 2025 die Zinsen senken wird und zwar um 25 Basispunkte.
In der Geldpolitik spricht man von Basispunkten, weil sie eine präzise Einheit zur Darstellung kleiner Zinsänderungen sind. Ein Basispunkt entspricht 0,01 Prozentpunkten, also einem Hundertstel Prozent. Da Zentralbanken wie die Fed oder die Europäische Zentralbank (EZB) Leitzinsen oft nur in Schritten von wenigen Zehntelprozent anpassen, wäre die Angabe in Prozent umständlich oder missverständlich. So bedeutet eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte einfach eine Steigerung um 0,25 Prozentpunkte. Die Verwendung von Basispunkten schafft Klarheit und verhindert Verwechslungen zwischen relativen und absoluten Prozentangaben.
Eine "großer" Zinsschritt von 50 Basispunkten wird aktuell lediglich mit einer Wahrscheinlichkeit von sechs Prozent eingepreist. Im Vorfeld der am Abend erwarteten Zinssenkung der US-Notenbank konnte der Goldpreis allein in den vergangenen vier Wochen um knapp 400 Dollar je Feinunze oder elf Prozent zulegen und markierte gestern ein neues Allzeithoch bei 3.703 Dollar je Feinunze.
Das sind die Gründe für die Gold-Rally
In den ersten achteinhalb Monaten 2025 wurde die Goldpreisrally vor allem von drei Faktoren getragen: Erstens wuchs die Erwartung, dass die US-Notenbank angesichts schwächerer Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten die Zinsen bald senken wird. Sinkende Realzinsen mindern die Opportunitätskosten, Gold zu halten, und machten das Edelmetall attraktiver.
Zweitens spielte die anhaltende Unsicherheit über Inflation und wirtschaftliche Stabilität eine große Rolle. Trotz Bemühungen vieler Regierungen blieb die Teuerung hoch, während geopolitische Spannungen und hohe Staatsverschuldung das Sicherheitsbedürfnis der Anleger verstärkten. Gold gilt in solchen Phasen traditionell als sicherer Hafen und Inflationsschutz.
Drittens sorgten starke Käufe von Zentralbanken – insbesondere in Schwellenländern – für zusätzlichen Rückenwind. Viele Notenbanken nutzen Gold zur Diversifikation und als Absicherung gegen Währungsrisiken. Gleichzeitig schwächte sich der US-Dollar ab, was den Erwerb von Gold für Investoren außerhalb des Dollarraums günstiger machte und die Nachfrage weiter steigerte. Zusammengenommen führten Zinssenkungserwartungen, Inflationssorgen und eine strategisch erhöhte Goldnachfrage dazu, dass der Goldpreis in den ersten achteinhalb Monaten des Jahres deutlich zulegte.
"Buy the rumor, sell the news"?
Fundamental spricht aktuell aus den oben genannten Gründen recht viel für einen weiter anziehenden Goldpreis. Schaut man sich die Kursbewegung der vergangenen vier Wochen jedoch genauer an, muss man vermuten, dass die heute Abend erwartete Zinssenkung bereits vollumfänglich vom Markt eingepreist worden ist.
Das Enttäuschungspotenzial für die Gold-Optimisten ist entsprechend groß heute Abend. Nach dem Motto "Buy the rumor, sell the news" dürften viele Marktteilnehmer nach der Bewegung der vergangenen vier Wochen erst einmal geneigt sein, Gewinne mitzunehmen. Kommentare von Fed-Chef Jerome Powell in der Pressekonferenz ab 20:30 Uhr dürften genauestens auf Gründe für Gewinnmitnahmen im Goldpreis durchleuchtet werden, so zumindest meine Vermutung.
Das Chance/Risiko-Profil für neue Longpositionen ist aus charttechnischer Sicht daher auf dem aktuellen Kursniveau in meinen Augen wenig attraktiv, ein Rücksetzer in Richtung des ehemaligen Allzeithochs um 3.500 Dollar je Feinunze käme unter Chance/Risiko allerdings durchaus für einen Einstieg in Frage.