Gas und Atom erhalten Öko-Label - EU-Parlament macht Weg frei

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- von Kate Abnett und Christian Krämer

Brüssel/Berlin (Reuters) - Das Europäische Parlament hat den Weg freigemacht, Investitionen in Erdgas und Atomkraft unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig einzustufen.

Damit dürften die sogenannten Taxonomie-Regeln für den Finanzmarkt ab 2023 greifen. Nur ein Veto von 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten könnte das noch verhindern, was allerdings als sehr unwahrscheinlich gilt. Umweltverbände reagierten am Mittwoch mit scharfer Kritik, die deutsche Industrie zeigte sich dagegen erleichtert, weil nun Planungssicherheit bestehe. Gegen die Taxonomie zeichnen sich aber bereits Klagen ab. Die Bundesregierung bekräftigte ihre Kritik, will aber selbst nicht klagen.

Von den anwesenden 639 Abgeordneten stimmten 328 dagegen, das Vorhaben zu blockieren. 278 stimmten dafür, 33 enthielten sich. Für ein Veto des Parlaments wäre eine Mehrheit von 353 Stimmen der insgesamt 705 Abgeordneten nötig gewesen. Im Vorfeld des Votums hatte die konservative Europäische Volkspartei - der größte Block im Parlament - mitgeteilt, mehr als drei Viertel ihrer Mitglieder würden für die Taxonomie-Pläne stimmen. Grüne und Sozialisten hatten sich für eine Blockade ausgesprochen.

Die Taxonomie ist eine Liste von Aktivitäten, die Investoren in der EU als "grün" vermarkten können. Mit dem Öko-Label sollen Investitionen am Finanzmarkt gezielt in nachhaltige Technologien und Energiequellen fließen. Ein Teil der Regeln für weniger umstrittene Bereiche ist bereits dieses Jahr in Kraft getreten, dabei geht es unter anderem um Elektroautos und die Renovierung von Gebäuden.

Frankreich ist die treibende Kraft hinter den Plänen gewesen, Atomkraft das Gütesiegel zu verleihen. Die dort vorherrschende Form der Energieerzeugung produziert zwar keine klimaschädlichen CO2-Emissionen, dafür aber radioaktiven Abfall. Gas wird von einigen EU-Ländern wie Polen als das kleinere Übel im Vergleich zu der noch klimaschädlicheren Kohle gesehen.

WERDEN DIE FINANZMÄRKTE DIE NEUEN REGELN AUCH NUTZEN?

Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katharina Beck, sprach von einem herben Rückschlag und einer verpassten Chance. "Es ist fraglich, ob die Finanzmärkte das irreführende Siegel überhaupt nutzen werden." Linken-Parteichef Martin Schirdewan erklärte, die Bundesregierung habe zu wenig Einfluss genommen. Die Klimabewegung "Fridays for Future" sprach von einer skandalösen Entscheidung: "Milliarden Euro werden dadurch in neue Gasinfrastruktur und Atomkraftwerke fließen statt in den dringend nötigen Ausbau von Wind- und Solarenergie. Sich inmitten einer eskalierenden Klimakrise und rasant ansteigenden Energiepreisen für eine Weiterführung und Stärkung ihrer Verursacher zu entscheiden, ist absurd." Deutschland sollte dagegen klagen, forderten die Klimaschützer.

"Wir halten die Erhebung einer Klage nicht für einen geeigneten Weg", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin. In der Vergangenheit hatte es geheißen, man prüfe dies. "Ungeachtet des Abstimmungsergebnisses bleibt die Bundesgierung bei ihrer Position und betrachtet Kernenergie als nicht nachhaltig." Sie habe dies mit Nachdruck gegenüber der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten vertreten. "Erdgas ist für uns eine wichtige Brückentechnologie auf dem Weg zur CO2-Neutralität." Die Aufnahme von Erdgas trage dem Rechnung.

Österreich will anders als Deutschland klagen: "Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten bereits intensiv auf diesen Fall vorbereitet und werden unsere Klage im Rahmen der dafür vorgesehenen Frist einreichen", so die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler. Die Taxonomie sei weder glaubwürdig, ambitioniert noch wissensbasiert. Auch Luxemburg will klagen.

INDUSTRIE VERWEIST AUF STRENGE VORGABEN FÜR GASKRAFTWERKE

Holger Lösch vom einflussreichen deutschen Industrieverband BDI lobte die Planungssicherheit für Unternehmen. "Unsere Brückentechnologie für das Zeitalter der Erneuerbaren ist das Gas." Nötig seien jetzt vor allem Flüssiggas-Terminals. "Neue Gaskraftwerke müssen wasserstofffähig sein - und damit langfristig CO2-neutral."

Ähnlich äußerte sich die Stromlobby. Noch würden brennstoffbasierte Gaskraftwerke benötigt, so Kerstin Andreae aus der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. "Die Zukunft liegt allerdings nicht beim Erdgas, sondern bei erneuerbaren Gasen wie Biomethan und Wasserstoff. Mittel- und langfristig können Gaskraftwerke mit Wasserstoff oder Biomethan und damit klimaneutral betrieben werden." Die von der EU vorgegeben Kriterien seien streng und stellten sicher, dass die Kraftwerke künftig Wasserstoff nutzen müssten. "So unterliegen die betreffenden Gasaktivitäten strikten CO2-Schwellenwerten und müssen bis spätestens 2036 auf erneuerbare oder CO2-arme Gase umgestellt sein."

EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness hatte diese Woche bekräftigt, es werde kein "Greenwashing" geben, also eine irreführende Vermarktung schmutziger Technologien als "grün" oder "nachhaltig". Das ist aber umstritten und Ursprung der jahrelange Diskussionen. Der Umweltverband WWF teilte mit, es werde die Grundlage für strukturelles Greenwashing gelegt. Die Entscheidung des Europäischen Parlaments sei wissenschaftlich fragwürdig, sagte Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbandes BVI. "Das ist ein schwaches Signal an den Rest der Welt", sagte Anders Schelde, Chef-Investmentstratege beim dänischen Fonds AkademikerPension.

Vorgesehen sind jetzt drei Klassen - die erste für komplett grüne Investments etwa in Windparks, die zweite für Hilfstechnologien etwa zur Speicherung von Energie. Die dritte und umstrittene Gruppe sind Übergangsaktivitäten. Hierzu zählen Atom- und Gaskraftwerke.

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