Scholz beantragt Vertrauensfrage - Streit mit Merz über Gesetzesprojekte

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- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat die angekündigte Vertrauensfrage beantragt und damit den ersten Schritt zu vorgezogenen Neuwahlen in Deutschland eingeleitet.

Der SPD-Kanzlerkandidat verband den Schritt aber mit einem deutlichen Appell an die oppositionelle Union und FDP, bis Jahresende noch einigen Gesetzesprojekten der rotgrünen Minderheitsregierung zuzustimmen. So sollten die Abgeordneten der Abmilderung der Kalten Progression in der Einkommenssteuer, der Erhöhung des Kindergeldes, dem Deutschlandticket für die Bahn sowie einer Deckelung der Stromnetzentgelte zustimmen. "Ein Schulterschluss der demokratischen Mitte in diesen wichtigen Fragen wäre ein starkes Zeichen", forderte Scholz. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz betonte jedoch im Reuters-Interview, dass die CSU/CSU-Bundestagsfraktion keinen haushaltsrelevanten Projekten zustimmen werde, zumal die "Restampel" drei Jahre lang Zeit für eine Umsetzung gehabt hätte. "Stückwerk machen wir mit dieser Restampel ganz sicher nicht mit", sagte er.

VORBREITUNG FÜR VERTRAUENSFRAGE AM MONTAG

Scholz unterzeichnete seine Erklärung am frühen Mittwochnachmittag. Das Schreiben sei im Anschluss von einem Beschäftigten des Kanzleramtes in das Büro von Bundestags-Präsidentin Bärbel Bas gebracht worden, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit. Der Deutsche Bundestag veröffentlichte den Antrag auf seiner Homepage.

Die Bundestagsdebatte über die Vertrauensfrage findet kommenden Montag ab 13.00 Uhr (MEZ) statt. Sollte der Kanzler, der nach dem Bruch der Ampel-Koalition eine rot-grüne Minderheitsregierung anführt, die Abstimmung wie erwartet verlieren, ist der Weg frei für eine Auflösung des Bundestags und für eine Neuwahl. Die Grünen kündigten an, sich enthalten zu wollen. Die SPD-Fraktion wird wahrscheinlich für Scholz stimmen, was aber ohne Auswirkungen bliebe. Nach der Niederlage bei der Vertrauensabstimmung will Scholz den Bundespräsidenten am Montagnachmittag bitten, das Parlament aufzulösen. Die vorgezogene Bundestagswahl ist für den 23. Februar vorgesehen.

Unions-Kanzlerkandidat Merz betonte, dass seine Fraktion erst nach der Vertrauensabstimmung mit SPD und Grünen über Projekte reden werde - weil das Misstrauen in Scholz fehle. "Bevor nicht die endgültige Antwort im Parlament gegeben ist, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass alles so kommt, wie ich es mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich vereinbart habe", betonte der CDU-Vorsitzende im Reuters-Interview. "Formal ist es so, dass der Kanzler über die Vertrauensfrage die alleinige Verfügungsgewalt hat. Er hat sogar noch bis zur Abstimmung die Möglichkeit, sie zurückzuziehen", sagte Merz. Der CDU-Vorsitzende verwies auf schlechte Erfahrungen mit Zusagen der Ampel-Regierung und des Kanzlers.

Scholz bliebe bei der Auflösung des Parlaments bis zur Bildung einer neuen Bundesregierung nach dem 16. Dezember geschäftsführend im Amt. Der Kanzler betonte, dass seine Regierung dann weiter voll funktionsfähig sei.

MERZ MACHT ROTGRÜN WENIG HOFFNUNG AUS BESCHLÜSSE

Seit Wochen ringen Regierung und Opposition darum, welche Projekte noch gemeinsam beschlossen werden könnten. "Haushaltswirksame Entscheidungen werden wir nicht mehr treffen können, da wir keinen Nachtragshaushalt für 2024 und keinen Bundeshaushalt für das Jahr 2025 haben", sagte CDU-Chef Merz im Reuters-Interview. "Dinge aus der vorläufigen Haushaltsführung zu finanzieren, das ist Stückwerk. Und Stückwerk machen wir mit dieser Restampel ganz sicher nicht mit."

"Das gilt auch für die Übertragungs-Netzentgelte", betonte Merz und kritisierte, dass der Vorschlag der rot-grünen Minderheitsregierung für einer Deckelung viel zu spät komme. "Die großen Übertragungsnetze und deren Betreiber brauchen in der Regel bis zum 15. Oktober Entscheidungen, um sie dann im Folgejahr umzusetzen. Heute ist der 11. Dezember. Das ist objektiv viel zu spät", sagte er. Scholz verwies dagegen darauf, dass die Industrie eine schnelle Reform wolle. Er rechnete vor, dass die von ihm genannten Reformen bis Weihnachten für eine Familie mit zwei Kindern 80 Euro oder 100 Euro im Monat ausmachen könnten.

Es gibt Ausnahmen, wo Regierung und Opposition doch noch zusammenarbeiten wollen: So hat auch die Union angekündigt, dass sie den Weg frei machen will für die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets. Merz erwähnte, dass auch die Stärkung des Bundesverfassungsgerichts gemeinsam beschlossen werde. Die FDP wiederum könnte der Abmilderung der Kalten Progression und dem Kindergeld zustimmen, weil dies ein Projekt des früheren Finanzministers und FDP-Chefs Christian Lindner ist.

MERZ SAGT NEIN ZU VERLÄNGERUNG MIETPREISBREMSE

Aber während das Bundeskabinett am Mittwoch die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 beschloss, kündigte Merz an, dass die Union dem nötigen Beschluss im Bundestag nicht mehr zustimmen werde. "Es gibt überhaupt keinen Zeitdruck: Die gegenwärtige Mietpreisbremse gilt bis zum 31. Dezember 2025. Für das Jahr 2025 droht also keine Gefahr", sagte der CDU-Vorsitzende.

Als chancenlos wird auch der überraschende Vorstoß von Scholz angesehen, den Mehrwertsteuersatz auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent zu senken. Union und FDP kritisierten das Vorhaben am Mittwoch als durchschaubares Wahlkampfmanöver.

(Mitarbeit von Holger Hansen, Christian Krämer; redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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