Wie wissen Anleger, dass sie eine Aktie verkaufen sollten?
Maximilian Nagel

Für eine Aktie finden sich fast immer schnell Gründe für den Kauf, egal, wie sich der Kurs entwickelt. Hat die Aktie massiv eingebüßt? Jetzt ist sie ein Schnäppchen oder ein Comeback-Kandidat. Umgekehrt haben steigende Aktien noch Luft nach oben, oder reiten auf dem Trend mit.
Weniger oft diskutiert wird, wann sich Anleger von einer Aktie trennen sollten. Der Verkauf einer Position ist oft noch schwieriger zu rechtfertigen als der Einstieg. Ist der Kurs gefallen, hoffen Anleger auf das Comeback. Bei Überfliegern hält die Angst, die nächsten 100 Prozent Kursgewinn einzufahren, vom Verkauf ab.
Im Angesicht hoher Bewertungen und einer spürbaren Skepsis an den Märkten, ob die KI-befeuerte Rally noch ewig so weitergehen kann, gehen wir hier der Frage nach, wann ein Verkauf sinnvoll ist.
Der Zeitpunkt ist bewusst gewählt. Mit vielen Aktien sind Anleger in diesem Jahr extrem gut gefahren, so mancher Index notiert auf Rekordniveau. Bei den Einzeltiteln ist Nvidia ist das eindrücklichste Beispiel. Die Aktie schloss in der Spitze bei 207 Dollar, und hat sich damit seit dem Kursniveau von Mitte Mai verdoppelt.
Schon innerhalb der 15 Monate zuvor hatte die Aktie um gut 100 Prozent zugelegt, ebenso wie in den knap neun Monaten zuvor. Einfacher gesagt: Hier folgte ein Verdoppler auf den nächsten. Aber auch Titel wie Rheinmetall oder Gold und Silber haben in diesem Jahr kräftig zugelegt.
Die jüngste Volatilität jedoch schreckte viele Anleger auf, die im bisherigen Börsenjahr einfach nur die steigenden Kurse bewunderten. Der US-Vermögensverwalter Barry Ritholtz mahnt davor, sich allein durch Phasen zittriger Kurse zu Aktionismus verleiten zu lassen.
Investmentprofi rät, Spekulationen abzubauen
„Die Tendenz zum Handeln ist eine kognitive Marotte, die uns zum Handeln statt zum Denken bewegt. [Als Anleger] sollten wir aber strategisch planen und nicht taktisch handeln“, erklärt Ritholtz. Wer aufgrund dieser Neigung handelt, verbessere sein Portfolio nicht, sondern erlebe nur eine Illusion der Kontrolle.
Ritholtz räumt ein, dass es Wege gibt, diesen Drang zu befriedigen, ohne die langfristige Performance des Portfolios zu beeinflussen. Zwei seiner Ideen können Anleger heranziehen, wenn es um die Frage geht, ob man Aktien nun verkaufen sollte.
So rät Ritholtz dazu, spekulative Positionen abzubauen. „Viele Investoren halten einige Überflieger, Microcap-Aktien oder vermeintliche Geheimtips vom eigenen Schwager. Wenn du dich wirklich um die Börsenlage sorgst, überlege, ob du spekulative Positionen auflöst und damit Barmittel aufbaust, ohne den Kern deines Portfolios anzurühren.“
Ebenso können Anleger Einzeltitel neu evaluieren. „Ich wette, viele deiner Einzelpositionen wurden aufgrund der Erwartung eines spezifischen Kurstreibers gekauft, die dann nicht kamen“, schreibt Ritholtz. Das könnten beispielsweise eine Personalie in der Führungetage sein, die Genehmigung eines Produkts, oder Übernahmefantasien. Wenn diese Katalysatoren noch nicht gekommen sind, könnte der Zeitpunkt für einen Verkauf gekommen sein, sagt der Börsenexperte.
Anders verhält es sich mit Aktien, die nicht herumdümpeln oder gar fallen, sondern im Plus notieren. Zwei Hürden stehen hier dem Verkauf im Wege: Zum einen werden Steuern fällig, wenn Gewinne realisiert werden. Das andere, weitaus fundamentalere Problem: Wer weiß, wie hoch der Kurs steigen kann?
Was die Versteuerung angeht, so kann beispielsweise das Jahr des Verkaufs entscheidend sein. Anleger, die sich zeitgleich von verlustreichen Positionen trennen, mindern so die Steuerlast für die Gewinne. Das kann, im Einzelfall, für einen Verkauf sprechen.
„Die Lage entscheidet, nicht die Mathematik am Reißbrett“
Was weitere Kurschancen angeht, können sich Anleger auch an Profis orientieren. So rät beispielsweise Volker Schulz, Chefredakteur bei den Bernecker Börsenbriefen, von festen Kurszielen beim Einstieg ab: „Kursziele sind Leitplanken, aber keine festen Ausstiegspunkte. Die Börsenlage entscheidet, nicht die Mathematik am Reißbrett.“
Seine Empfehlung: „Aktien in klaren Aufwärtstrends begleitet man konsequent mit Stopp-Kursen, die regelmäßig nachgezogen werden. Gefallene Titel mit stabiler Basis können auch ohne Stopps gehalten werden, weil ihr Abwärtsrisiko begrenzt ist.“ Zugleich sagt Schulz, dass Gewinne eben nicht einfach „laufen gelassen“ werden.
„Es gehört zur professionellen Strategie, Gewinne phasenweise mitzunehmen. Reale Gewinne erhöhen die Sicherheit, reduzieren Klumpenrisiken und schaffen Liquidität für neue Chancen. Gleichzeitig steigt mit jedem Kursanstieg das Enttäuschungsrisiko, weshalb Teilverkäufe Disziplin und psychologische Stabilität fördern.“
Börsen-Altmeister Hans A. Bernecker rät ebenfalls zu Stoppkursen: „In der gegenwärtigen Situation sind alle Aktien, die einem positiven Grundtrend folgen, mit Stopp-Kursen zu begleiten. Diese müssen regelmäßig angepasst werden.“
Bewertung und Gewichtung sind Faktoren für den Abbau von Positionen
Hendrik Leber, Gründer und Geschäftsführer der Fondsgesellschaft Acatis, gibt einen weiteren Orientierungspunkt für etwaige Verkäufe. Die bieten sich nämlich an, wenn „die Bewertungen jenseits von Gut und Böse gestiegen sind“, so Leber gegenüber onvista.
„Ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 35 bedeutet, dass die Firma 35 Jahre lang Gewinn abliefern muß, um den Einstiegskurs zu rechtfertigen. Ist das realistisch? Häufig nicht“, erklärt der Investmentprofi. „Wenn die Geschäftsaussichten sich fortlaufend verbessern, kann man allerdings etwas länger dabeibleiben“, sagt Leber.
Ein weiterer Faktor sei indes, wie gefragt ein gut gelaufenes Papier sei. „Wenn eine Aktie zu populär geworden ist, sollte man auch rausgehen und nach neuen, besseren Ideen suchen. Das, was jeder kennt, bringt keinen großen Mehrwert mehr für den Anleger“, ergänzt Leber.
Bei den eigenen Fonds setzt Leber auf langfristige Investments: „Wir bleiben häufig über viele Jahre dabei - entweder ist die Aktie gut oder sie ist es nicht, und wenn sie gut ist, kann man auch in schlechteren Phasen dabeibleiben.“ Verkäufe bieten sich dann an, um das Portfolio neu zu gewichten: „Wenn die Position zu groß geworden ist, über fünf Prozent des Portfoliowertes, fangen wir an, abzubauen.“
Fazit: Mit Strategie, aber ohne starre Leitlinien
Kursgewinne sind immer ein Grund zur Freude. Was am Ende aber zählt, sind realisierte Gewinne. Wer eine Aktie hält und den Trend bis ganz nach oben und dann auch wieder nach unten mitmacht, hat am Ende nichts gewonnen – und sogar Zeit verloren.
Darum bietet es sich an, regelmäßig Verkäufe zu erwägen. Entsprechende Denkansätze gibt es genug, sei es die Bewertung, das Gewicht im Portfolio oder eben der Fakt, dass sich die erhoffte Kursentwicklung nicht materialisiert hat.





