Baerbock hatte Weihnachtsgeld-Meldepflicht "nicht auf dem Schirm"
- von Holger Hansen
Berlin (Reuters) - Knapp fünf Wochen nach ihrer Ausrufung zur Kanzlerkandidatin der Grünen muss Annalena Baerbock einräumen, dass sie Meldepflichten des Bundestages bei Nebeneinkünften nicht eingehalten hat.
Die Co-Parteichefin erklärte am Freitag vor TV-Kameras, es handele sich dabei um Weihnachtsgeldzahlungen ihrer Partei, die sie voll versteuert habe. "Bedauerlicherweise habe ich damals nicht auf dem Schirm gehabt, dass ich dieses Weihnachtsgeld auch der Bundestagsverwaltung hätte melden müssen", sagte Baerbock. Insgesamt geht es um Nebeneinkünfte in Höhe von 25.220,28 Euro aus den Jahren 2018 bis 2020, die Baerbock im März dem Bundestag nachgemeldet hatte. Bekanntgeworden war dies erst am Mittwoch. Co-Parteichef Robert Habeck sprang ihr zur Seite und wies jeden Vergleich mit der Coronaschutzmasken-Affäre in der Union zurück.
Für die Grünen ist Baerbocks Versäumnis heikel, zumal ihre Partei stets die detaillierte Offenlegung der Nebeneinkünfte von Mandatsträgern fordert. Die Kanzlerkandidatin ist zudem kein Einzelfall: Am Donnerstag räumte auch der frühere Parteichef Cem Özdemir ein, dass er Weihnachtsgeldzahlungen nicht an den Bundestag gemeldet habe. Für die Jahre 2014 bis 2017 habe er im Mai 2021 beim Bundestag Einkünfte von 20.580,11 Euro nachgemeldet, "nachdem ihm und seinem Büro aufgefallen ist, dass dies versehentlich nicht bereits erfolgt ist".
Andere Grüne legten größere Sorgfalt an den Tag: Die frühere Parteichefin Claudia Roth meldete ihr Weihnachtsgeld für 2011 und 2012 nach Angaben ihres Büros seinerzeit dem Bundestag. Das Weihnachtsgeld war bei den Grünen 2011 eingeführt worden.
BAERBOCK VERLIERT IN UMFRAGE AN ZUSTIMMUNG
In einer Umfrage verlor Baerbock deutlich an Zustimmung. Im ZDF-Politbarometer vom Freitag sackten ihre persönlichen Werte von 1,0 auf 0,5 ab. Dies ist laut Forschungsgruppe Wahlen ihr schlechtester Wert bisher bei der Beurteilung nach Sympathie und Leistung. Die versäumte Anzeige der Weihnachtsgeldzahlungen war erst inmitten der Umfrage vom 18. bis 20. Mai bekanntgeworden.
Für Baerbock sind die persönlichen Umfragewerte ein Rückschlag, nachdem sie nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin am 19. April zugelegt hatte. Auf der Beliebtheitsskala im Politbarometer liegt sie auf Rang sechs direkt hinter SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (1,0), aber vor Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (0,2). In der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl liegt ihre Partei trotz einer Einbuße um einen Punkt auf 25 Prozent weiter vor der Union, die ebenfalls einen Punkt auf nun 24 Prozent verlor. Die SPD blieb in der Umfrage bei 14 Prozent. Damit schlug sich für die SPD der Parteitag vom 9. Mai mit der breiten Bestätigung für Scholz vorerst nicht in verbesserten Umfragewerten nieder.
HABECK: "ÄRGERLICH - UND JETZT WIEDER KLIMASCHUTZ"
Die Grünen waren um Schadensbegrenzung bemüht, nicht nur mit der TV-Erklärung Baerbocks. Auch Co-Parteichef nahm sie in Schutz. "Jetzt muss man auch die Kirche im Dorf lassen", sagte Habeck am Donnerstagabend im ZDF. "Es ist nicht Korruption. Es ist nicht vergleichbar mit Maskendeals. Das Weihnachtsgeld wurde nicht rechtzeitig angezeigt." Am Ende einer TV-Runde zur Klimapolitik fügte Habeck hinzu: "That's it. Also ärgerlich - und jetzt machen wir wieder Klimaschutz." Da Habeck kein Bundestags-Mitglied ist, gilt für ihn die Anzeigepflicht nicht.
Ein Parteitag soll im Juni Baerbock als Kanzlerkandidatin im Spitzenduo mit Habeck noch bestätigen. Baerbock unterstrich: "Es handelt sich nicht um die Zahlung von Dritten, sondern um das Weihnachtsgeld meiner Partei." Sie habe ihren "Fehler gleich korrigiert, als ich ihn erkannt habe". Sie fügte hinzu: "Volle Transparenz ist das, was wichtig ist." Daher sei die Veröffentlichung gerade bei Zahlungen von Dritten wichtig, damit es bei Mandatsträgern nicht zu Interessenkonflikten komme.
Für die Grünen kann sich die Debatte nach Einschätzung von Meinungsforschern negativ auswirken. "Es ist durchaus eine große Gefahr für die Grünen, wenn das bislang positive Bild von Annalena Baerbock zerpflückt wird", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner dem "Handelsblatt". "Viele der möglichen Wähler sind bislang nur Grünen-Sympathisanten, aber keine Grünen-Stammwähler und könnten wieder ins Unions-Lager zurückwechseln."
Durch Presseberichte war am Mittwoch nach der Aktualisierung der Bundestagsangaben im Internet bekanntgeworden, dass Baerbock die Weihnachtsgelder ebenso wie eine Corona-Zulage von 1500 Euro vom Dezember 2020 nachgemeldet hatte. Von den Grünen war nicht zu erfahren, wodurch sie auf ihr Versäumnis aufmerksam wurde. Im März liefen in der Partei die Vorbereitungen, Baerbock als Kanzlerkandidatin zu präsentieren. Zugleich waren durch die Maskenaffäre um einige Unions-Politiker die Nebeneinkünfte von Abgeordneten in den Schlagzeilen. Einzelne Unions-Politiker sollen einen finanziellen Vorteil daraus gezogen haben, dass sie Aufträge und die Lieferung von Corona-Schutzmasken vermittelten.