Die Inflation ist da – oder doch nicht?

onvista · Uhr

Wir sind zunächst überrascht, dass die Volkswirte überrascht sind – was das Ausmaß der US-Inflation betrifft. Eine US-Konsumenteninflation von 4,2 % liegt deutlich über den Erwartungen von 3,6 % und sorgte kurz für einen Schreckmoment an den Märkten. Eine derartige Fehleinschätzung gab es zuletzt in den 80er-Jahren. Es ist jedoch zu differenzieren:

Erstens: Wir taxieren die echte Inflation noch höher. Weder Zusammensetzung noch Gewichtung der einzelnen Waren und Dienstleistungen innerhalb des Warenkorbs spiegeln den realistischen Bedarf wider. Das gilt auch für die Eurozone. Lebensmittel sind in den letzten 12 Monaten zum Teil im hohen zweistelligen Prozentbereich teurer geworden, die Wohn-/Wohnbaukosten seit 2012 drastisch gestiegen.

Zweitens: Der Basiseffekt der jüngsten Inflationsdaten ist natürlich enorm hoch. Im April 2020 notierten die Öl-Futures tageweise sogar unter null. Auch sämtliche Rohstoffpreise standen unter Wasser. Rund zwei Prozentpunkte, also knapp die Hälfte der 4,2 % Inflation in den USA, sind nebst den gestiegenen Transportkosten darauf zurückzuführen. Knapp 0,6 Prozentpunkte steuerte der Posten „Gebrauchtwagen“ zum gesamten Preisanstieg bei. Diese Basiseffekte werden ab Sommer wieder langsam geglättet. Somit ist die Preissteigerungsrate des aktuellen US-Warenkorbes ohne Sondereffekte um 1,6 % anzusetzen. Aber:

Was passiert, wenn die milliardenschweren Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht werden? Allen voran die Amerikaner mit ihrem Infrastrukturprogramm nebst den Bestrebungen der weltweiten Energiewende. Ob Stahl und Seltene Erden für Windräder und Elektromotoren, Silber und Silikon für Solarmodule, Kupfer und Aluminium für den Ausbau der Stromnetze oder Lithium, Kobalt, Nickel und Mangan für Batterien: Wollen die Staaten der Welt ihre ambitionierten Klimaziele einhalten, braucht es Unmengen dieser Metalle. Kommt dazu eine nachhaltige Konjunkturwende mit hohen Wachstumsraten, kann eine Inflation um 3 bis 4 % zur neuen Normalität werden.

Die Notenbanken und Regierungen haben zugleich wenig Interesse, die lockere Geldpolitik zu beenden. Die Kombination aus tiefem Zins und höherer Inflation ist das beste Mittel, die Staatshaushalte zu sanieren. Und spielt der Markt nicht mit, bleibt letztlich noch die mechanische Kontrolle der Zinskurve. Es ist jedoch zugleich eine Gratwanderung der Glaubwürdigkeit für jede Notenbank.

Fazit: Wenn die Inflation steigt, der Zins jedoch nicht im gleichen Ausmaß mitzieht, sinkt der Realzins. Je tiefer der negative Realzins, umso alternativloser wird die Aktie – insbesondere diejenige mit Substanz. Auch dem Goldpreis sollte das in die Karten spielen.

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Oliver Kantimm / Der Aktionärsbrief

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