PERSONEN - LANG NICHTS GEHÖRT VON: ERNST WELTEKE: Näher an Draghi als an Weidmann

Börsen-Zeitung · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Von Bernd Wittkowski, Frankfurt

Börsen-Zeitung, 8.3.2014

An der alten Geschichte habe er kein großes Interesse mehr, sagt Ernst Welteke, als wir uns zum Gespräch verabreden. Die alte Geschichte ist als "Adlon-Affäre" bekannt und führte vor zehn Jahren zu seinem Rücktritt als Bundesbankpräsident. Im März 2004 zog sich die Schlinge zu, im April gab Welteke auf. Aber ein Treffen mit ihm zehn Jahre danach ist nicht denkbar, ohne über damals zu reden, zumal ihn selbst das Thema natürlich noch umtreibt, auch wenn er es wohl am liebsten verdrängen möchte. Doch dazu später.

Welteke heute: Halten wir zunächst fest, es geht ihm, der vor wenigen Jahren nach einer Blutvergiftung auch schon mal dem Tod von der Schippe gesprungen ist, sichtlich gut. Der 71-Jährige, in dritter Ehe verheiratet, erweckt den Eindruck, keinen Anlass zu allzu lautem Klagen zu haben. Was das Geschäftliche angeht, bezeichnet er sich als "independent one-man non-profit organization". Das trifft es bei genauem Hinsehen allerdings nicht ganz. Unabhängig: ja. Aber "one man"? Immerhin hat er in seinem Kronberger Büro eine Mitarbeiterin. Und "non-profit" stimmt auch nur insoweit, als Welteke nicht arbeitet und offensichtlich auch nicht arbeiten muss, um Geld zu verdienen, sondern nur, "um mich zu beschäftigen".

Aserbaidschan und Angola

Sein langjähriges Mandat als unabhängiges Mitglied des Board of Directors der russischen Bank Center-Invest läuft aus. Weiterhin gehört er aber dem Aufsichtsrat der aserbaidschanischen Unibank an und dem Advisory Board von Quantum Global, einer Unternehmensgruppe, die international in Finanzierung, Vermögensverwaltung und Immobilienentwicklung tätig ist und nicht zuletzt Zentralbanken und Staatsfonds bei Anlagethemen berät. Welteke kümmert sich hier vor allem um eine im Aufbau befindliche Investmentbank in Angola. Daneben ist er viel als Vortragsreisender unterwegs und versucht seinen Auditorien im In- und Ausland die europäische Finanz- und Staatsschuldenkrise zu erklären.

Apropos Krise: Hält er es beim Krisenmanagement eher mit EZB-Präsident Mario Draghi oder mit seinem Nachnachfolger an der Spitze der Bundesbank, Jens Weidmann? Es ist guter Brauch unter Ehemaligen, nicht die aktuelle Politik von Institutionen zu kommentieren, bei denen man selbst in Verantwortung stand - jedenfalls nicht öffentlich. Also hält sich Welteke sehr zurück - aber doch nicht so sehr, dass nicht deutlich würde, dass er mehr zur Linie Draghis tendiert. Das 2012 vom EZB-Rat beschlossene, von Weidmann wegen der Nähe zur Staatsfinanzierung mit der Notenpresse abgelehnte OMT-Programm (Outright Monetary Transactions) zum Ankauf von Staatsanleihen sei wegen der Voraussetzungen, an die seine Nutzung im konkreten Fall geknüpft ist, "eigentlich nicht anwendbar". Doch sei zu begrüßen, dass schon mit der Ankündigung des Programms dazu beigetragen wurde, die Märkte zu stabilisieren. Im Übrigen, so Welteke, sei Geldpolitik schon immer auch ein Teil der Wirtschaftspolitik gewesen.

Der frühere hessische SPD-Landtagsabgeordnete, Wirtschafts- und Finanzminister sowie Landeszentralbankpräsident, der im September 1999, also im Jahr der Euro-Einführung, als Nachfolger von Hans Tietmeyer Präsident der Bundesbank und damit Mitglied des EZB-Rates geworden war, hatte sich stets mit Herzblut für die Vollendung der monetären Integration eingesetzt. Er warb auch dann noch unermüdlich dafür, die Währungsunion als eine entscheidende Etappe auf dem Weg zu einem umfassenderen Zusammenwachsen der Völker Europas zu verwirklichen, als in den neunziger Jahren Parteigenossen wie Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine oder Rudolf Scharping, die damalige "Troika", längst auf Distanz zu dem Projekt gegangen waren.

Verständnis für Bail-out

Seine Position zur Währungsunion, so sagt der gelernte Landmaschinentechniker und Diplom-Volkswirt Welteke heute, sei freilich vor allem historisch-politisch begründet gewesen. Er erinnert daran, dass Europa vor 100 Jahren schon einmal Selbstmord begangen habe, weil die Politiker die Zeitläufte nicht richtig eingeordnet hätten, und warnt, dass sich Geschichte wiederholen könne. Vor diesem Hintergrund ist er augenscheinlich auch bereit, den Rechtsbruch zu tolerieren, den etwa das im Maastrichtvertrag ausgeschlossene Bail-out anderer Staaten darstellt. Darauf angesprochen, sagt er zum einen, dass Verträge immer auch im Lichte sich ändernder Umstände interpretiert werden müssten, und fragt zweitens, was denn die Alternative gewesen wäre: Hätten nicht im Falle einer Pleite Griechenlands und womöglich weiterer Euro-Länder wieder die Steuerzahler die deutschen Banken retten müssen?

Nun aber zu der alten Geschichte. Zur Erinnerung, weil es eben doch schon zehn Jahre her ist: Welteke hatte sich anlässlich der Feierlichkeiten zur Euro-Bargeldeinführung 2002 einen viertägigen Berlin-Aufenthalt mit seiner Familie von der Dresdner Bank finanzieren lassen. Belege zu der sicher etwas zu lang ausgedehnten Dienstreise auf Einladung einer Bank fanden ihren Weg zum Magazin "Spiegel". Die Kostenübernahme konnte in der öffentlichen Wahrnehmung Zweifel an der Unabhängigkeit der auch für Bankenaufsicht zuständigen Währungsbehörde begründen.

Letztlich war Welteke, auch weil damals sein Krisenmanagement in eigener Sache versagte, nicht zu halten, obgleich es keinerlei Anhaltspunkte gab, dass er in einem konkreten Fall käuflich gewesen wäre. Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorteilsnahme stellte die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen Zahlung einer Buße von 25 000 Euro ein. Nebenbei: Darüber, dass die Strafverfolger gegen ihn ermittelten, war Welteke zuerst von einem Reporter der "Bild"-Zeitung informiert worden.

Welteke ist heute weit davon entfernt zu behaupten, dass sein Verhalten damals in Ordnung gewesen sei. Was ihn aber erkennbar ärgert: dass sein Lebenswerk, nachdem er jahrzehntelang untadelig und erfolgreich dem Gemeinwesen gedient hat und dafür auch parteiübergreifend respektiert wurde, vor zehn Jahren von manchen Medien und wohl auch von einigen ehemaligen politischen Weggefährten auf "zwei Übernachtungen zu viel" reduziert wurde. Von der nach dem Start der Währungsunion notwendigen und keineswegs schmerzfreien Reform der Bundesbank zum Beispiel, die Welteke anstieß und trotz erheblicher interner Widerstände ziemlich geräuscharm durchzog, spricht heute kaum noch jemand. Die Frankfurter "Financial Community" allerdings, das kann man immer wieder sehen und hören, hat ihren ehemaligen Bundesbankpräsidenten, der sich mit vielen Initiativen um die Förderung des Finanzplatzes verdient gemacht hat, nicht fallen gelassen.

Briefe ans Finanzministerium

Jenseits der Frage des eigenen Fehlverhaltens: Wer ihn vor zehn Jahren ans Messer geliefert hat und wie, das weiß Welteke bis heute nicht genau, wie er sagt. Ihm ist bekannt, in wessen Auftrag die Belege über den Aufenthalt im Adlon in der Dresdner Bank kopiert wurden, aber nicht, wer die Kopien seinerzeit im Postamt Jägerstraße in Berlin aufgegeben und an den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel und dessen Abteilungsleiter Jörg Asmussen (beide SPD) geschickt hat. Wenig später, Ende März 2004, tauchten die Unterlagen beim "Spiegel" auf, dessen Bericht über die Affäre schließlich am 16. April zu Weltekes Amtsniederlegung führte.

Auch wenn er nicht weiß, welche Rolle Eichel in der Intrige konkret gespielt hat: Der vormalige hessische Ministerpräsident, mit dem Welteke in der Landeshauptstadt Wiesbaden bestens harmoniert hatte und der ihn dann im Mai 1999 als Bundesbankpräsident vorschlug, habe sich nach der Veröffentlichung des "Spiegel" in keinster Weise solidarisch verhalten, fällt Welteke unangenehm auf. Als Währungshüter hatte der den Konflikt mit dem Finanzminister nicht gescheut, wenn es um stabile Staatsfinanzen ging. Vielleicht musste er auch dafür mit dem Verlust seines Amtes bezahlen.

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