Kutzers Zwischenruf: Zwischen Aufbruch der Kurse und Einbruch der Konjunktur

Hermann Kutzer · Uhr

Durch den positiven Verlauf der vergangenen Woche sind die Börsen-Bullen richtig munter geworden, unterstützt von einem günstigen Chartbild. Ergebnis: Wer sich an den Aktienkursen selbst orientiert, setzt auf Aufbruchstimmung. Wer dagegen den Börsen zunächst nicht mehr viel zutraut, behält seine Rezessionssorgen. Die Meinungen der Volkswirte und Analysten gehen jetzt wieder etwas weiter auseinander. Ich kann zwar den jüngsten Optimismus nachvollziehen, mein Bauchgefühl ist aber noch nicht saniert – ich bleibe vorläufig vorsichtig-skeptisch. Dennoch will ich ihnen aktuelle Stimmungsbilder nicht vorenthalten, geschätzte Anleger.

Erfahrene Trendfolger reiben sich die Hände. Im Oktober beginnt normalerweise die bullische Börsenperiode. In diesem Jahr stehen die Chancen sehr gut, behaupten sie, dass die Hausse-Phase bereits einen Monat früher beginnt. Ein solcher Kursanstieg an den internationalen Aktienmärkten auf breiter Front setzt sich in aller Regel bis zum Mai des folgenden Jahres fort. Derzeit deutet insbesondere die Charttechnik darauf hin, dass die Aufwärtsbewegung bereits begonnen hat. So kann man’s sehen. Oder ist das lediglich eine eher kurzfristige Spekulation im Vorfeld neuer Notenbankschritte?

Eine geldpolitische Lockerung der EZB scheint ausgemachte Sache zu sein. Mario Draghi hat hohe Erwartungen geweckt. Gut möglich jedoch, dass die zur Diskussion stehenden Maßnahmen längst eingepreist sind. Die Anleger dürften am Donnerstag also die Luft anhalten, wenn der EZB-Rat zusammentritt, um seine avisierte Lockerung umzusetzen. Was auch am Ende von Draghis Pressekonferenz kaum fehlen wird, ist ein Aufruf an die Fiskalpolitik, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Verschärfung der Konjunkturschwäche abzuwenden. Das wird Berlin aber (noch) nicht unter Handlungsdruck setzen. Skeptische Vordenker unter den Börsenprofis haken ohnedies größere Hoffnungen auf die Geldpolitik ab – Motto: Bringt nichts mehr.

Ein von mir besonders geschätzter Fondsmanager, der Klartext mit Humor zu verbinden weiß, hat mir am Wochenende folgendes geschrieben, was auf jeden Fall lesenswert ist: Börse ist eben doch auch klug. Leider lässt sich dies von den Markteilnehmern – sprich den Investoren – nicht immer behaupten. Denn die Börsianer haben es in den letzten 100 Jahren geschafft, jeder Krise einen Namen zu geben, aber die enormen Kursanstiege dazwischen, die viel mehr Vermögen erschaffen haben, zumindest namenstechnisch zu ignorieren. Konsequenz: Gefühlt herrscht immer irgendwie Krise und die Aktienanlage wird ständig nur mit Risiken verbunden. Eine gewaltige Wahrnehmungsillusion. Ob Tulpenkrise, Südseeblase, Asienkrise, Tech-Crash, 9/11 Crash, Subprime-Krise, Eurokrise, also quasi jedes negative Großereignis besitzt einen Namen. Hingegen klassifizieren wir positive Entwicklungen dazwischen nahezu ausnahmslos mit Blasen oder irrationalen Übertreibungen. Wie eine echte Show aussieht, zeigt derzeit aber keiner besser als Britanniens Premierminister Boris Johnson, der binnen zwei Tagen gleich vier Abstimmungen versemmelt und sich damit aus dem Rampenlicht ins Bühnenaus katapultiert. Das ist echte Unterhaltung. Die Börsen freut es und so stehen wir inzwischen mitten in der von mir erwarteten Erholung. Ich hoffe Sie haben meinen Mut geteilt und die tieferen Kurse der letzten Wochen für Käufe genutzt. Soweit der Fondsmanager.

Er ist ein Aktienfan, wie ich. Meiner Meinung nach ist es aber nicht so schlimm, wenn Sie Ihre Aktienbestände vorsichtshalber noch nicht aufgestockt haben.

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