Metaller erhalten satten Lohnaufschlag in Krisen-Zeiten

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- von Ilona Wissenbach und Jan Schwartz

Frankfurt/Hamburg (Reuters) - Die fast vier Millionen Beschäftigten der deutschen Metall- und Elektroindustrie erhalten angesichts der hohen Teuerungsraten eine kräftige Lohnerhöhung.

Arbeitgeber und Gewerkschaft einigten sich nach fast dreiwöchigen Warnstreiks am frühen Freitagmorgen im Pilotbezirk Baden-Württemberg auf Erhöhungen in zwei Schritten um 8,5 Prozent sowie 3000 Euro Einmalzahlung netto bei einer Laufzeit von zwei Jahren. Die IG Metall hatte acht Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten gefordert. Die Arbeitgeber setzen auf die lange Laufzeit des Vertrages bis Ende September 2024, die den Unternehmen Planungssicherheit gebe. Die Zahlungen beginnen außerdem erst im Frühjahr, das verschafft den Unternehmen etwas Luft.

"Dieser Kompromiss ist angesichts der extrem schwierigen wirtschaftlichen Situation und der enormen Unsicherheiten sicherlich in vielen Punkten schmerzhaft und absolut an der Grenze dessen, was wir für die Mehrzahl unserer Mitglieder gerade noch für tragbar halten", erklärte der Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, Harald Marquardt, nach den fast zwölfstündigen Verhandlungen in Ludwigsburg. "Wir haben sicher die ein oder andere Kröte geschluckt, aber auch die anderen sind nicht ohne Krötenschlucken weggekommen."

Die Arbeitgeber setzen darauf, die einsetzende Rezession schnell zu überwinden und bis 2024 zu Wachstum zurückzukehren. Das Tarifpaket sei ein "Vorschuss auf hoffentlich bessere Zeiten", sagte Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf. Nach seiner Schilderung standen die Verhandlungen in der Nacht kurz vor dem Scheitern. Man habe sich dann aber wieder zusammengerauft. "In der jetzigen Situation, auch wenn wir diese Rezession nächstes Jahr sehen, Geld für Streiks zu verballern, halte ich für unverantwortlich und nicht sinnvoll", sagte Wolf bei einer Telefonkonferenz mit Journalisten.

"AN DER NAHTKANTE ZUR ESKALATION"

IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger nannte das Ergebnis sehr ordentlich: "Das ist unterm Strich ein Ergebnis, das in schwieriger Zeit mit viel Hadern, mit viel Ringen und heftigen Debatten zustande gekommen ist." Bundesweit hatten sich seit Ende Oktober rund 900.000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Die Einigung sei an der "Nahtkante zur Eskalation des Konflikts" gelungen, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Der Abschluss bringe den Beschäftigten eine spürbare Entlastung angesichts der gestiegenen Preise.

Gesamtmetall hob hervor, dass die Inflationsausgleichsprämie in zwei Schritten von je 1500 Euro flexibel gestaltet sei und der Abschluss zudem Differenzierungen enthalte. So können Betriebe mit einer Nettoumsatzrendite von weniger als 2,3 Prozent das schon länger bestehende tarifliche Zusatzgeld verschieben, kürzen oder streichen. Die im Tarifabschluss 2021 vereinbarte Erhöhung des so genannten Transformationsgeldes ab Februar 2023 von 18,4 Prozent auf 27,6 Prozent wurde gestrichen. Auf eine Eskalation der Energiekrise wollen die Tarifparteien schnell und flexibel reagieren.

Die bayerischen Metallarbeitgeber erklärten, der Abschluss sei teuer und gehe an die Schmerzgrenze, zum Teil auch darüber hinaus. Dennoch empfahlen auch sie die Tarifeinigung anzunehmen.

METALLER HABEN DIE NASE VORN

Vereinbart ist eine Anhebung der Tarifgehälter in zwei Stufen um 5,2 Prozent ab Juni 2023 und um 3,3 Prozent ab Mai 2024. Hinzu kommt eine steuer- und abgabenfreie Pauschale zum Inflationsausgleich von 3000 Euro, gestückelt in zwei Tranchen ausgezahlt bis spätestens März 2023 und 2024. Mit einer Laufzeit von 24 Monaten legen sich die Tarifparteien in Deutschlands größter Industrie länger fest als in der Chemiebranche, deren Abschluss nach 20 Monaten Ende Juni 2024 ausläuft. Von der Substanz her ähneln sich die beiden Abschlüsse nach Meinung von Tarifexperten, wenn sie sich im Detail auch unterscheiden. Die Löhne der 580.000 Chemiebeschäftigten werden ebenfalls in zwei Schritten angehoben, allerdings jeweils zu Jahresbeginn. Damit kommen sie früher in den Genuss eines Lohnaufschlags. Auch hier wird die Sonderzahlung von 3000 Euro pro Kopf in zwei Tranchen gezahlt. Während die IG Metall von 7000 Euro mehr für einen durchschnittlichen Beschäftigten über die Laufzeit von zwei Jahren spricht, kommt die Chemiegewerkschaft IG BCE bei 20 Monaten Laufzeit auf 6250 Euro mehr je Beschäftigten.

Ökonomen sehen in dem Metall-Abschluss, der bundesweit übernommen werden soll, keine große Gefahr, dass sich Löhne und Preise gegenseitig aufschaukeln. "Die dauerhaften Lohnerhöhungen von gut vier Prozent pro Jahr werden keine Lohn-Preis-Spirale auslösen", sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Besonders wichtig sei, dass mit der Einigung längere Streiks abgewendet werden konnten. Diese hätten die Krise verschärft. Hagen Lesch, Tarifexperte des arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagte Reuters, von dem Abschluss gehe zwar ein gewisser Preisdruck aus. "Aber eben keiner, der jetzt zu einem Konflikt zwischen Geldpolitik und Lohnpolitik führt."

(Mitarbeit von Rene Wagner und Klaus Lauer, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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