Draghi-Bericht löst in Berlin unterschiedliches Echo aus

Berlin (Reuters) - Die Reformvorschläge von Ex-EZB-Chef Mario Draghi für die EU haben in der Bundesregierung ein unterschiedliches Echo ausgelöst.
Der Italiener schlägt massive Investitionen vor, die in ihren Dimensionen an den Marshall-Plan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Als Teil der Finanzierung bringt Draghi neue gemeinsame Quellen ins Gespräch. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) begrüßte es am Montag zwar grundsätzlich, dass Wachstumskräfte des privaten Sektors mobilisiert würden. Doch mit einer gemeinsamen Schuldenaufnahme durch die EU seien strukturelle Probleme nicht zu lösen. Die Verantwortung der EU-Mitglieder für die eigenen Staatsfinanzen dürfe nicht weiter verwischt werden: "Die Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung schafft demokratische und fiskalische Probleme. Deutschland wird dem nicht zustimmen."
HABECK SAGT UNTERSTÜTZUNG ZU
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte den Bericht einen "Weckruf an Europa". Ganz Europa stehe vor existenziellen Herausforderungen, die nur gemeinsam und geschlossen bewältigt werden könnten. Draghi habe recht: "Wir brauchen massive Investitionen, umfassende Reformen und eine Stärkung der Resilienz. Wir sollten jetzt handeln, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können und Wohlstand zu sichern." Es gelte, jetzt nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern den Bericht ernst zu nehmen: "Er ist eine Handlungsaufforderung an die neue Europäische Kommission und die EU insgesamt. Ich sage gern meine Unterstützung zu", erklärte Habeck.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte mit Blick auf Instrumente gemeinsamer Verschuldung, der Draghi-Bericht müsse erst sorgfältig ausgewertet werden. Zugleich verwies er auf verfassungsrechtliche Vorgaben, die der Bundesregierung in diesem Zusammenhang gemacht worden seien.
Im EU-Vertrag gibt es eine Nichtbeistands-Klausel, wonach ein Staat nicht für die finanziellen Verbindlichkeiten eines anderen gerade stehen darf. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen Bezug genommen. Die gemeinsamen Schulden in der EU für den Corona-Wiederaufbaufonds verstoßen aber nicht gegen das Grundgesetz. Die Karlsruher Richter betonten 2022 den Ausnahmecharakter.
(Bericht von Reinhard Becker, Mitarbeit Christian Krämer, Andreas Rinke und Maria Martinez; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)