Institute erwarten Rezession 2020 - Starke Erholung 2021

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Klaus Lauer und Reinhard Becker

Berlin (Reuters) - Top-Ökonomen sagen der deutschen Wirtschaft 2020 eine dramatische Talfahrt voraus, im nächsten Jahr allerdings eine kräftige Erholung.

"Die Corona-Pandemie löst eine schwerwiegende Rezession in Deutschland aus", teilten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute am Mittwoch in ihrem Frühjahrsgutachten für die Bundesregierung mit. Demnach dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,2 Prozent schrumpfen und im nächsten Jahr um 5,8 Prozent steigen. Allerdings bestehe die Gefahr, dass es noch schlimmer kommen könnte - wenn das Virus die Wirtschaft länger lahmlegt und die Unternehmen nur langsam wieder auf die Beine kommen. Die Ökonomen befürchten für Deutschland keine Welle mit Firmenpleiten, sehen aber das Risiko einer neuen Staatsschuldenkrise im Euro-Raum.

Die Forscher betonten, dass die Konjunkturentwicklung von vielen Dingen abhänge, die man derzeit kaum einschätzen könne. "Die Prognosen, die wir im Moment abgeben, haben wahrscheinlich eine kurze Lebensdauer", räumte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser ein. So fußt das Gutachten auf der Annahme, dass Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie, die die Wirtschaft in einigen Bereichen abgewürgt haben, ab dem 20. April schrittweise gelockert werden. Sollte der Shutdown vier weitere Wochen andauern, dürfte das BIP um weitere 1,5 Prozentpunkte schrumpfen, sagte Wollmershäuser.

WIRTSCHAFT BRICHT IM ZWEITEN QUARTAL UM 9,8 PROZENT EIN

Bereits im ersten Vierteljahr 2020 dürfte die Wirtschaft 1,9 Prozent an Fahrt verloren haben. "Im zweiten Quartal bricht sie dann als Folge des Shutdowns um 9,8 Prozent ein." Dies ist der stärkste Rückgang seit der Datenerhebung 1970 und mehr als doppelt so groß wie zur Finanzkrise Anfang 2009. "Die Rezession hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt und im Staatshaushalt", sagte Wollmershäuser. "In der Spitze wird die Arbeitslosenquote in diesem Jahr auf 5,9 Prozent und die Zahl der Kurzarbeiter auf 2,4 Millionen hochschnellen." Dennoch erwarten die Ökonomen keine massenhaften Firmeninsolvenzen. "Wir glauben, dass der Schutzschirm, den die Regierung aufgespannt hat, effektiv ist." Die meisten Firmen würden am Markt bleiben.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht sich durch das Gutachten mit dem Titel "Wirtschaft unter Schock - Finanzpolitik hält dagegen" bestätigt, dass es nach dem Abklingen der Krise schnell bergauf gehen kann. Insgesamt zeigen sich die Ökonomen vergleichsweise optimistisch. Man gehe davon aus, dass die Pandemie 2021 überwunden sei und "dass die deutsche Wirtschaft aus dieser Krise weitgehend ungeschoren herauskommt", sagte Wollmershäuser. Grundsätzliche Änderungen der Wirtschaftsstruktur in Deutschland seien nicht zu erwarten, erklärte Stefan Kooths, Konjunkturchef vom Kieler IfW-Institut. "Bisher gibt es keinen Anlass zur Prognose, dass sich die deutsche Wirtschaft entglobalisiert." Die exportlastigen Unternehmen seien auch künftig stark mit der ganzen Welt verflochten. Ein Risiko für die Weltwirtschaft und damit auch für deutsche Exporteure sei aber, dass die Rezession in den vom Coronavirus stark betroffenen USA größer ausfällt als gedacht.

Die Experten bescheinigen Deutschland gute fiskalische Fitness, um 2020 ein Rekorddefizit beim Gesamtstaat von 159 Milliarden Euro wegzustecken. Für ein nachfragestärkendes Konjunkturprogramm nach der Krise gebe es keine Mehrheit unter den Instituten, sagte Kooths. "Wir müssen in den nächsten Jahren nicht drastisch auf die Bremse treten und harten Sparkurs einleiten." Aber solides Haushalte sei eine Versicherung gegen solche Krisen.

DEUTSCHLAND STECKT KRISE WEG - ABER EURO-SCHULDENKRISE DROHT

In Europa könnte die starke Verschuldung vieler Länder für Ungemach sorgen. Denn nicht jeder sei in so einer komfortablen Situation wie Deutschland, mahnte Wollmershäuser und nannte Italien. "Die Gefahr ist groß, dass wir im Euro-Raum wieder in eine Staatschuldenkrise kommen." Anders als die Wirtschaftsweisen positionierten sich die Institute nicht zu den umstrittenen Corona-Bonds. Derweil konnten sich die Euro-Finanzminister trotz immenser wirtschaftlicher Belastungen durch die Pandemie nicht auf Hilfen für Italien und andere stark betroffene Länder verständigen und wollen ihre Verhandlungen am Donnerstag fortsetzen.

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigenen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erarbeitet wird das Gutachten vom DIW in Berlin, vom Ifo-Institut in München, vom Kieler IfW, vom IWH in Halle und vom RWI in Essen.

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