Lockerung und Maskenpflicht - Deutschland probt den Exit

Reuters · Uhr (aktualisiert: Uhr)

- von Markus Wacket

Berlin (Reuters) - Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht trotz gesunkener Infektionszahlen keine Alternative zum Kurs sehr vorsichtiger Lockerungen der Corona-Auflagen.

"Wir haben in den vergangenen Wochen einiges erreicht", sagte RKI-Vize-Präsident Lars Schaade am Dienstag in Berlin. "Ernst ist die Situation dennoch immer noch. Es ist kein Ende der Epidemie in Sicht." Auch mit Blick auf die Wirtschaft seien Lockerungen aber vertretbar: Der vergangene Woche gefundene Kompromiss zwischen Landesregierungen und Bund sei "ganz vernünftig". Während seit dieser Woche kleinere Geschäfte wieder öffnen können, verhängen immer mehr Länder eine Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften. Das Oktoberfest in München wurde abgesagt. Das Gesundheitsministerium bereitet zudem eine massive Ausweitung der Tests vor, um Infektionen eingrenzen zu können.

Die Neuinfektionen gehen in Deutschland seit Tagen zurück. Am Dienstag meldete das RKI knapp 1800 neue Fälle, während es gleichzeitig mit rund 3700 mehr als doppelt soviele als Geheilt bezeichnete. Die Ansteckungsrate liegt weiter unter dem Wert von eins. Das heißt, ein Infizierter steckt statistisch weniger als einen weiteren Menschen an. Aus Sicht eines Epidemiologen müssten RKI-Vizepräsident Schaade zufolge eigentlich scharfe Auflagen weiter bestehen, um die Rate noch zu drücken. Allerdings müsse man Wirtschaft und Gesellschaft im Auge behalten. Klar sei: Solange es keinen Impfstoff gebe, müssten Auflagen im Alltagsleben bleiben. Ähnlich äußerte sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO): "Bis ein Impfstoff oder eine sehr effektive Behandlungsmethode gefunden wird, wird dies unsere neue Normalität sein", erklärte WHO-Experte Takeshi Kasai.

IMMER MEHR LÄNDER FÜHREN MASKENPFLICHT EIN

Parallel zur Öffnung von kleineren Geschäften sowie Bibliotheken oder Zoos führen zunehmend Bundesländer eine Pflicht für Alltagsmasken ein. Baden-Württemberg kündigte dies für nächste Woche im Einzelhandel und im Nahverkehr an. In Berlin müssen die Masken dann zumindest in Bussen und Bahnen getragen werden.

Unklar ist, ob die Fußball-Bundesliga im Mai mit sogenannten Geisterspielen ohne Zuschauer wieder starten kann. Dies würde voraussetzen, dass zumindest Spieler und Schiedsrichter regelmäßig getestet würden, um Ansteckungen auszuschließen. Das RKI will die verfügbaren Tests aber auf medizinische Fälle begrenzen. Er sehe nicht, warum bestimmte Bevölkerungsgruppen - selbst bei einem gesellschaftlichen Interesse - routinemäßig getestet werden sollten, sagte RKI-Vize Schaade.

Gesundheitsminister Jens Spahn will die Zahl der Tests deutlich ausweiten. In einem Reuters vorliegenden Arbeitspapier werden 4,5 Millionen pro Woche genannt. Das wären sechsmal soviele wie derzeit möglich sind. Ein Sprecher Spahns distanzierte sich aber davon: "Die genannten Zahlen sind falsch, nicht nötig und nicht realistisch", sagte er. Eine erhebliche Steigerung sei aber vorgesehen. Massentests gelten als eine der Voraussetzungen für eine stufenweise Rückkehr zum Alltag.

VOLKSFESTE BIS IN DEN HERBST UNWAHRSCHEINLICH

Volksfeste wird es voraussichtlich bis in den Herbst hinein nicht geben: Das Münchner Oktoberfest wurde abgesagt. "Es tut uns weh. Es ist unglaublich schade", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Das größte Volksfest der Welt zieht jedes Jahr rund sechs Millionen Besucher aus dem In- und Ausland an. Die Landesregierung von Baden-Württemberg deutete zudem an, dass der Cannstatter Wasen mit Millionen Besuchern im Herbst ebenfalls nicht stattfinden werden. Dies trifft erneut vor allem die Restaurant-Branche, für die weitere Hilfen in Aussicht gestellt sind.

Österreich hebt dagegen weitere Einschränkungen auf: Die Gastronomie darf von Mitte Mai an unter Auflagen wieder bis 23.00 Uhr öffnen. Auch die Schulen sollen schrittweise ab Mai ihren Betrieb wieder aufnehmen, die Geschäfte ohnehin. "Wir sind auf einem guten Weg", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die Zahl der Neuinfektionen sei am Wochenende auf unter 100 gesunken.

Italien will ab dem 4. Mai und damit nach rund zwei Monaten mit einer schrittweisen Lockerungen der strikten Auflagen beginnen. Dazu werde die Regierung noch in dieser Woche ihren Plan vorlegen, kündigte Ministerpräsident Giuseppe Conte auf Facebook an. Das Vorgehen werde auf wissenschaftlichen Empfehlungen beruhen und nicht auf Forderungen aus der Öffentlichkeit und der Wirtschaft. Eine Lockerung berge die Gefahr, dass die Ansteckungskurve wieder steige.

Dänemark will einem Bericht des Senders TV2 zufolge ab Mitte Mai wieder öffentliche Versammlungen von bis zu 500 Menschen zulassen. Derzeit sind nur Zusammenkünfte von maximal zehn erlaubt.

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