Russland nimmt Teile der Ukraine ein - "Das ist Putins Krieg"

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UKRAINE-RUSSLAND:Russland nimmt Teile der Ukraine ein - "Das ist Putins Krieg"

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- von Natalia Zinets und Aleksandar Vasovic

Kiew/Mariupol (Reuters) - Russland ist in der Ukraine einmarschiert und hat Europa damit in die tiefste militärische Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs gestürzt.

Auf Befehl von Präsident Wladimir Putin griffen russische Verbände das Nachbarland am Donnerstag aus der Luft, über den Landweg und vom Schwarzen Meer aus an. Ziel des Einsatzes sei, die Ukraine zu entnazifizieren und zu demilitarisieren, teilte der Kreml in Moskau mit. Russland habe aber nicht die Absicht, die Ukraine zu besetzen. Dennoch nahmen die Truppen bis zum Nachmittag bereits Teile der Südukraine ein. Weltweit stieß das Vorgehen Russlands auf Fassungslosigkeit. Die EU kündigte ein neues und beispielloses Sanktionspaket an.

Die ukrainische Regierung und das Militär berichteten von mehreren Angriffen vor allem auf Kiew, Charkiw, Mariupol am Asowschen Meer, Odessa am Schwarzen Meer sowie in den Provinzen Luhansk und Donezk im Osten. Laut ukrainischen Grenztruppen bewegten sich russische Panzerverbände von Belarus aus im Norden auf Kiew zu. Dabei kam es im Gebiet von Tschernobyl, das wegen der Atomkatastrophe von 1986 noch teilweise Sperrgebiet ist, zu Gefechten mit ukrainischen Regierungstruppen. Teile der Provinz Cherson im Süden der Ukraine waren am Nachmittag nicht mehr unter Kontrolle der Regierungstruppen, wie die örtlichen Behörden mitteilten. Cherson liegt direkt nördlich von der von Russland 2014 annektierten Halbinsel Krim.

Verlässliche Angaben über Tote und Verletzte lagen zunächst nicht vor. Die Kämpfe erstreckten sich bis zum Nachmittag nach ukrainischen Angaben fast auf das gesamte Land. Nach US-Angaben schoss Russland bis zum Nachmittag mehr als 100 Raketen ab. Bei heftigen Gefechten im Osten des Landes habe Russland Gefangene genommen, sagte der ukrainische Vize-Verteidigungsminister. Seit Tagesanfang habe Russland 203 Ziele angegriffen. In mehreren Städten wurden laut Innenministerium militärische Kommandozentralen zerstört. Betroffen davon sei auch Kiew. Viele Menschen versuchten, die Hauptstadt zu verlassen. Auf den Ausfallstraßen bildeten sich kilometerlange Staus. Bewohner suchten in U-Bahn-Stationen Zuflucht. Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einer großangelegten russischen Invasion. Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte das Kriegsrecht.

Das russische Präsidialamt erklärte, die Operation in der Ukraine müsse ihre Ziele erfüllen. Das Land müsse von "Nazis" gesäubert und befreit sowie demilitarisiert werden. Präsident Putin äußerte sich kurz vor Beginn der Angriffe im Fernsehen. Er habe die Militäraktion autorisiert, Russland habe keine andere Wahl als sich zu verteidigen. "Russland kann sich nicht sicher fühlen, sich entwickeln und leben mit einer konstanten Bedrohung, die von der modernen Ukraine ausgeht", sagte Putin. "Jede Verantwortung für Blutvergießen liegt bei dem regierenden Regime in der Ukraine."

NATO - WERDEN ALLE VERBÜNDETEN SCHÜTZEN

UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief Putin auf, die Angriffe einzustellen und dem Frieden eine Chance zu geben. US-Präsident Joe Biden kündigte eine "gemeinsame und entschiedene Reaktion auf die ungerechtfertigte Attacke des russischen Militärs" an. Am Donnerstag berief Biden den nationalen Sicherheitsrat ein. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte für Freitag einen virtuellen Gipfel an. In Brüssel sagte er, die Allianz werde alles zum Schutz ihrer Mitglieder tun. Mehr als 100 Kampfjets seien in Alarmbereitschaft, um den Luftraum des Nato-Gebiets zu überwachen.

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, Russland werde einen "bitteren Preis" zahlen. Noch am Abend werde der EU-Gipfel neue Sanktionen gegen Russland beschließen. "Das ist Putins Krieg", sagte Scholz in Berlin nach einem Treffen des Sicherheitskabinetts. Russland mache einen schweren Fehler und verletze eklatant das Völkerrecht. Ziel der Sanktionen sei es, der russischen Führung zu zeigen: "Für diese Aggression zahlt sie einen bitteren Preis. Es wird sich zeigen: Putin hat mit seinem Krieg einen schweren Fehler begangen." Der Ukraine sicherte er die volle Solidarität Deutschlands zu. Für Sonntag kündigte Scholz eine Regierungserklärung bei einer Sondersitzung des Deutschen Bundestags an. Außenministerin Annalena Baerbock erklärte: "Die Weltgemeinschaft wird Russland diesen Tag der Schande nicht vergessen."

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in Brüssel, dass man russisches Vermögen in der EU einfrieren und russischen Banken den Zugang zu Finanzmärkten abschneiden werde. Russland werde von der Technologie abgeschnitten, die notwendig sei, um die Zukunft zu bauen. "Die EU wird das härteste Sanktionspaket beschließen, dass sie je beschlossen hat", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Beide betonten, dass die EU die Ukraine weiter unterstützen werde. "Wir stehen an der Seite der Ukraine", sagte Borrell. Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs treffen am Abend zu einem Sondergipfel zusammen.

Die russische Regierung sieht sich Agenturberichten zufolge in der Lage, die Folgen von Sanktionen abzufedern. Russland habe genug Rücklagen, um die Stabilität des Finanzsystems zu gewährleisten, teilte die Moskauer Führung laut der Nachrichtenagentur Interfax mit. Die Regierung stehe bereit, um die Finanzmärkte und die größten russischen Unternehmen vor den Folgen von Sanktionen und anderen Bedrohungen zu bewahren, meldete Tass.

ÖL UND GOLD LEGEN ZU, AKTIEN AUF TALFAHRT

An den internationalen Börsen löste der russische Angriff auf die Ukraine ein Beben aus. Weltweit gingen die Aktien auf Talfahrt, während die Rohstoffpreise in die Höhe schnellten. Erdöl kostete erstmals seit 2014 wieder mehr als 100 Dollar je Fass, was Ängste vor einem neuen Inflationsschub schürte. Gleichzeitig versuchten Investoren abzuschätzen, welche wirtschaftlichen Folgen die geplanten Sanktionen des Westen gegen Russland haben werden. Der deutsche Leitindex Dax verlor 5,2 Prozent auf 13.870 Punkte und steuerte auf den größten Tagesverlust seit etwa zwei Jahren zu. Der Moskauer Leitindex RTS verbuchte einen Rekord-Kurssturz von gut 50 Prozent und notierte mit 610,33 Punkten so niedrig wie zuletzt vor sechs Jahren. Die russische Währung geriet ebenfalls unter die Räder und fiel auf ein Rekordtief.

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