EuGH-Generalanwalt sieht Ersatzanspruch von Diesel-Käufern

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DEUTSCHLAND-MERCEDES-DIESEL:EuGH-Generalanwalt sieht Ersatzanspruch von Diesel-Käufern

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Frankfurt (Reuters) - Besitzer von Dieselautos mit einer Abschalteinrichtung könnten bessere Karten bei Schadenersatzklagen erhalten.

In seinem Schlussantrag erklärte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) am Donnerstag im Fall von Mercedes-Benz, Käufer eines Autos mit einer solchen unzulässigen Drosselung der Abgasreinigung hätten einen Ersatzanspruch gegen den Hersteller. Es sei Sache der EU-Mitgliedstaaten, abschreckende Sanktionen bei Einbau solcher Technik sowie die Methoden zur Berechnung eines Ersatzanspruchs festzulegen, erklärte Generalanwalt Athanasios Rantos weiter. Ein Urteil des EuGH steht noch aus, das Gericht folgt allerdings in den meisten Fällen den Schlussanträgen.

Mercedes-Benz erklärte, die Ansicht des Generalanwalts sei für den EuGH nicht bindend. Das Urteil bleibe abzuwarten. Das Unternehmen wolle über den Ausgang des Verfahrens nicht spekulieren. Kläger-Anwälte sehen dagegen gute Chancen, Schadenersatz durchzusetzen, wenn das Gericht dem Generalanwalt folgt. "Mercedes-Benz muss nun mit einer weiteren Klagewelle rechnen", erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein, der nach eigenen Angaben mehr als 42.500 Mandanten in der Sache vertritt. Der Schlussantrag setze die gesamte Autoindustrie unter Druck und stärke die Rechte der Verbraucher.

Der Rechtsstreit im Gefolge des Diesel-Abgasskandals, der mit Volkswagens Eingeständnis der Abgasmanipulation im September 2015 seinen Ausgang nahm, steht für zig Tausende Klagen gegen Mercedes-Benz und andere Hersteller. Hierbei geht es um die temperaturgesteuerte Abgasreinigung, das so genannte Thermofenster. Die Hersteller hatten einen Passus im EU-Gesetz, wonach diese bei niedrigen Temperaturen zum Schutz des Motors gedrosselt werden darf, sehr weit ausgelegt. Bei Volkswagen dagegen handelte es sich in erster Linie nicht um das Thermofenster, sondern um Betrug mit einer anderen Software. Diese sorgte dafür, dass die Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand die Abgasnorm für Stickoxid einhielten, auf der Straße aber nicht. VW musste dafür Schadenersatz leisten.

VORSATZ ODER FAHRLÄSSIGKEIT?

Im vorliegenden Fall klagte ein Autobesitzer gegen Mercedes auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung bei Rückgabe des Mercedes-Pkw. Das Landgericht Ravensburg hatte den EuGH angerufen, um zu klären, ob der Autobauer haftet. Mercedes wurde bislang höchstrichterlich vom Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht zu Schadenersatz verurteilt. Auch Landgerichte und Oberlandesgerichte wiesen Klagen gegen den Stuttgarter Autobauer bei mehr als 20.000 Urteilen bisher weit überwiegend zurück. Der BGH hatte entschieden, dass selbst bei Illegalität der Technik kein Schadenersatzanspruch gegen Mercedes besteht. Denn der Autobauer habe den Käufer nicht vorsätzlich geschädigt, die EU-Rechtslage sei unklar gewesen. Daimler habe allenfalls fahrlässig gehandelt.

Das Landgericht Ravensburg wollte nun klären, ob der Hersteller auch bei Fahrlässigkeit haftet. Das wäre dann der Fall, wenn das EU-Gesetz zur Typgenehmigung von Fahrzeugen auch die Interessen individueller Erwerber schützt. Nach Ansicht von Rantos tut es das. Insbesondere sei das Interesse geschützt, "kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben." Der EuGH hatte der Thermofenster-Technik mit einem Urteil im Dezember 2020 sehr enge Grenzen gesetzt. Generalanwalt Rantos erklärte in einem noch laufenden Verfahren gegen VW im September, das Thermofenster sei gesetzeswidrig.

Am Verfahren nicht beteiligte Juristen schätzen die Aussichten auf Schadenersatz von Mercedes-Benz unterschiedlich ein. "Wenn das Urteil so kommt, haben individuelle Erwerber bessere Chancen, auch wenn sie eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht nachweisen können", sagte Rechtsanwalt Andreas Krämer, Verkehrsrechtsexperte vom Deutschen Anwaltverein. Zumindest sei die Voraussetzung dafür gestärkt. Wie der Ersatzanspruch geleistet wird, bleibe Sache der deutschen Gerichte und hänge vom Einzelfall ab. Ein anderer Jurist äußerte Zweifel, dass die deutschen Gesetze einen Schadenersatzanspruch bei Fahrlässigkeit hergeben. (AZ: C-100/21)

(Bericht von Ilona Wissenbach, Ursula Knapp; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)

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