Deutsche Wirtschaft wächst überraschend - "Ruhe vor dem Sturm"

- von Rene Wagner
Berlin (Reuters) - Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal trotz der Energiekrise überraschend gewachsen.
Das Bruttoinlandsprodukt legte von Juli bis September wegen höherer Konsumausgaben um 0,3 Prozent zu im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte. Das kommt unerwartet: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Rückgang von 0,2 Prozent gerechnet. Die Konjunktur habe sich damit gut behauptet - "trotz schwieriger weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen mit anhaltender Corona-Pandemie, gestörten Lieferketten, steigenden Preisen und dem Krieg in der Ukraine", so die Statistiker. Im vergangenen Frühjahr hatte es ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent gegeben, im ersten Quartal wegen der Corona-Erholung sogar ein kräftigeres Plus von 0,8 Prozent.
"Absolut verblüffend", kommentierte LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch das überraschende Wachstum. Damit wird es aber Experten zufolge angesichts der Energiekrise infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine vorerst vorbei sein. "Das dürfte nur die Ruhe vor dem Sturm sein", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die Entwicklung in den Sommermonaten, in denen die Bundesregierung Entlastungspakete wie Tankrabatt und 9-Euro-Ticket geschnürt hatte. "Denn die hohe Inflation lässt die Kaufkraft der Konsumenten einbrechen." Nach Prognose des Münchner Ifo-Instituts wird die Wirtschaft im laufenden vierten Quartal um 0,6 Prozent schrumpfen. "Die anhaltend hohe Inflation und die Unsicherheit über die Energieversorgung und ihre Kosten belasten die deutsche Wirtschaft deutlich", stellte auch die Bundesbank fest, die Deutschland an der Schwelle zur Rezession sieht. "Insgesamt könnte die Wirtschaftsleistung im Winterhalbjahr deutlich sinken."
VIEL GEGENWIND
Die Wirtschaft sieht sich heftigem Gegenwind ausgesetzt. Die hohe Inflation von zuletzt 10,0 Prozent nagt an der Kaufkraft der Verbraucher, die deshalb mit Konsumausgaben zögern. In der Industrie klagen noch immer etwa zwei Drittel der Betriebe über Materialmangel bei wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten, weshalb sie nicht so viel produzieren können wie eigentlich möglich. Die Exporteure dürften die schwächere Weltkonjunktur zu spüren bekommen. In der Baubranche sorgen steigende Zins- und hohe Materialkosten für viele Stornierungen von Projekten.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die deutsche Wirtschaft im zu Ende gehenden Jahr um 1,4 Prozent wachsen wird. Für 2023 rechnet sie mit einem Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt um 0,4 Prozent.
(redigiert von Kerstin Dörr - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)