Verfassungsgericht soll besser vor Extremisten geschützt werden

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- von Christian Krämer

Berlin (Reuters) - Die Ampel-Regierung will zusammen mit der Union als größter Oppositionspartei das Grundgesetz ändern, um die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu stärken.

Damit soll Deutschlands höchstes Gericht angesichts größerer Stimmenanteile für Parteien an den politischen Rändern vor ungewollter Einflussnahme geschützt werden, wie sie in den vergangenen Jahren in einigen europäischen Ländern wie Polen oder Ungarn zu beobachten war. Darauf verständigten sich SPD, Grüne, FDP und Union zusammen mit dem Justizministerium, wie die Parteien am Dienstag in Berlin mitteilten. Zeitnah sollen die beteiligten Fraktionen nun einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Noch in der Amtszeit der Ampel-Regierung bis Herbst 2025 soll die Grundgesetzänderung über die Bühne gehen. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, die die vier Fraktionen zusammen aber haben.

Ziel ist es, den Status des Karlsruher Gerichts als Verfassungsorgan stärker hervorzuheben. Dabei sollen auch die Unabhängigkeit und die Funktionsfähigkeit abgesichert werden. Dies wurde bei Inkrafttreten des Grundgesetzes, als das Verfassungsgericht neu entstand, noch nicht gemacht - im Gegensatz zu anderen Verfassungsorganen wie dem Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident oder der Bundesregierung. "Damals, 1949, war noch nicht klar, wie wichtig das Bundesverfassungsgericht für unseren Rechtsstaat werden würde", sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP). "Mittlerweile hat es sich als Bollwerk der liberalen Demokratie bewiesen."

Konkret soll die Struktur des Gerichts auf Ebene der Verfassung gehoben werden. Dazu zählen unter anderem die Amtszeit der Richter mit zwölf Jahren, die Altersobergrenze der Richter mit 68 Jahren, die Zahl der Richter mit 16, die Zahl der Senate mit zwei, der Ausschuss zur Wiederwahl der Richter sowie die Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers.

Außerdem soll die Praxis geändert werden, falls sich Bundestag oder Bundesrat nicht auf eine Nachbesetzung vakanter Richterstellen einigen können. "Für diesen Fall soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass das Wahlrecht auch durch das andere Wahlorgan ausgeübt werden kann", heißt es in einem Überblickspapier der Parteien. "In das Grundgesetz soll dazu eine Öffnungsklausel eingefügt werden." So soll sichergestellt werden, dass das Gericht handlungsfähig bleibt. Ist im zuständigen Gremium nach drei Monaten noch kein Nachfolger bestimmt, kann das andere Wahlorgan übernehmen und einen Richter wählen. "Dies bedeutet, dass beide Wahlorgane weiterhin gleichermaßen zur Wahl berechtigt sind. Keines hat dabei einen Vorrang. Zum Zuge kommt das Organ, in dem die Wahl zuerst gelingt."

RICHTERBUND: DAS KANN NUR EIN ERSTER SCHRITT SEIN

Nach Einschätzung der Union ist das Gericht mit den geplanten Änderungen "auch für stürmische politische Zeiten gerüstet", so CDU-Politiker Ansgar Heveling. CSU-Politikerin Andrea Lindholz sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es werde verhindert, dass eine Minderheit von einem Drittel im Bundestag oder Bundesrat die Wahl von Verfassungsrichtern blockiere und so das Gericht lahmlege. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, der Rechtsstaat dürfe nicht von innen heraus sabotiert werden. Die Vorschläge seien dafür eine wichtige Maßnahme.

Nur teilweise zufrieden äußerte sich der Deutsche Richterbund. DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sprach von einer erfreulichen Einigung. "Die Beispiele Polens und Ungarns haben auf alarmierende Weise gezeigt, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten kippen können, sofern illiberale Kräfte es darauf anlegen." Dies könne aber nur ein erster Schritt sein. Es müssten überall in Deutschland Gesetze so ausgestaltet werden, dass die Besetzung von Richterstellen nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden könne. Auch Einfallstore dafür müssten geschlossen werden. "Das aus dem vorletzten Jahrhundert stammende Weisungsrecht der Justizminister für den Fall unliebsamer Ermittlungen der Staatsanwaltschaften ist Gift für das Vertrauen der Menschen in eine unabhängige Strafverfolgung." In den falschen Händen wäre das politische Weisungsrecht für konkrete Strafverfahren fatal.

Eine Stellungnahme des Verfassungsgerichts lag zunächst nicht vor. Buschmann deutete an, dass es eingespannt gewesen sei und nicht überrascht sein dürfte.

(Bericht von Christian Krämer, Mitarbeit von Andreas Rinke, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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