Ausblick 2021: Tourismus-Erholung nach Corona-Krisenjahr lässt auf sich warten

onvista · Uhr (aktualisiert: Uhr)

Die Menschen in Deutschland sind in Reiselaune, doch bislang profitiert die von der Corona-Krise hart getroffene Touristik davon kaum – zu groß ist die Ungewissheit. Die Menschen verzichten nicht deshalb aufs Reisen, weil sie nicht wollen, „sondern weil sie nicht können. Die Nachfrage ist potenziell da“, sagt Branchenexperte Martin Lohmann. Bisher deutet sich an, dass zunächst vor allem Ziele in Deutschland und den Nachbarländern gefragt sind, die mit dem eigenen Auto, per Bus oder Bahn erreicht werden können. Mancherorts könnte es sogar eng werden.

„Bei erdgebundenen Reisen stellen wir für den Sommer eine hohe Nachfrage fest. Es ist möglich, dass nicht jeder sein Wunschhotel bekommt, wenn er später bucht“, berichtet Ingo Burmester, Zentraleuropa-Chef von DER Touristik. Branchenprimus Tui weist darauf hin, dass „nicht das ganze Volumen, das sonst ins Ausland gegangen wäre, hier in Deutschland aufgenommen werden kann“. Im Vorkrisen-Jahr 2019 führten nach Angaben des Reiseverbandes DRV fast 74 Prozent der Urlaubsreisen ins Ausland.

Noch zögern viele Sonnenhungrige allerdings mit Buchungen für die schönsten Wochen des Jahres. „Stetige Änderungen der Einreisemodalitäten und Reisewarnungen sorgen noch für eine Buchungszurückhaltung“, stellt FTI-Group-Geschäftsführer Ralph Schiller fest. Immerhin: „Seit die Nachricht bekannt ist, dass es noch in diesem Winter einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben soll, sind die Buchungsanfragen deutlich gestiegen. Das zeigt uns, dass die Menschen unbedingt wieder reisen wollen.“

„Die Buchungen erfolgen deutlich kurzfristiger“, sagt auch Andreas Rüttgers, Leiter Flugtouristik bei Schauinsland-Reisen. Überproportional oft würden Urlaubsanlagen in direkter Strand- und Meerlage gebucht.

Um die Reiselust der Bundesbürger anzuschieben, locken Veranstalter mit günstigen Frühbucher-Rabatten, der Möglichkeit kostenloser Stornierungen und Umbuchungen sowie Hygienekonzepten für Anreise und Unterkunft. Denn das Corona-Krisenjahr hat tiefe Löcher in die Bilanzen gerissen, die gestopft werden müssen. Nach DRV-Berechnungen summieren sich die Umsatzausfälle der deutschen Reiseveranstalter und Reisebüros bis Ende dieses Jahres auf 28 Milliarden Euro. Branchengrößen wie Tui und der drittgrößte Veranstalter FTI brauchten Hilfen des staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds.

Zwar rechnet die Branche mit Nachholeffekten, weil viele Menschen in der Pandemie auf Urlaubsreisen verzichtet haben. Letztlich hängt eine Erholung aber von Faktoren ab, die sie nicht beeinflussen kann. Die Politik sei gefordert, sensibel mit Reisewarnungen und Reisehinweisen umzugehen, mahnt DRV-Präsident Norbert Fiebig. „Ein Zick-Zack-Kurs, wie im laufenden Jahr gesehen, verunsichert nicht nur die Urlaubswilligen, sondern auch die Unternehmen und erstickt die vorhandene Reiselust im Keim.“ Auch Tui wünscht sich schlüssigere Hinweise – möglichst regionaler Art, nicht für ganze Länder.

Selbst wenn das Geschäft nach einem Ende der Beschränkungen wieder anzieht, wird es nach Fiebigs Einschätzung noch ein oder zwei Jahre dauern, bis das Niveau der Vorkrisenzeit erreicht wird. Einen besonderen Vorteil hat aus seiner Sicht die Pauschalreise, „da sie den Urlaubern zusätzliche Sicherheiten gerade in eher unsicheren Zeiten bietet“. Auch Reisebüros würden wegen des gestiegenen Beratungsbedarfs der Kunden in Corona-Zeiten profitieren.

Dennoch dürften kaum alle Veranstalter und Reisebüros den Schock überleben. Sollten die Beschränkungen bis zum Frühjahr aufrechterhalten werden, „wird in manchen Fällen die staatliche Unterstützung nicht ausreichen, weil die laufenden Kosten ohne Geschäft auf die Dauer zu hoch sind“, befürchtet Tourismusexperte Torsten Kirstges. Der Professor an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven schätzt, dass etwa zehn Prozent der rund 11 000 Reisebüros und etwa 50 bis 100 Veranstalter in Deutschland gefährdet sein könnten.

Nach Erkenntnissen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) ist die Urlaubslust der Menschen in Deutschland seit Jahren weitgehend konstant. Daran habe sich auch in der Pandemie nichts Grundsätzliches geändert, erklärt Lohmann, Leiter des Instituts für Tourismusforschung in Nordeuropa (NIT) und wissenschaftlicher Berater der FUR. „Die Produkte der Reisebranche brauchen keine Revolution.“

Das gilt nach Einschätzung von Kirstges auch für Kreuzfahrten, die in der Vergangenheit ein wichtiger Wachstumstreiber waren. „Kreuzfahrten werden wieder boomen.“ Grundsätzlich hält er das Geschäftsmodell nicht für bedroht. FTI hat den Geschäftsbetrieb des Veranstalters FTI Cruises allerdings zum 31. Oktober eingestellt. Tui erwartet dagegen, „dass wir nächstes Jahr das Geschäft wieder anfahren und die Flotten komplett im Umlauf haben können“. Seit Ende Juli waren auf Tui-Cruises-Schiffen den Angaben zufolge bislang mehr als 45 000 Gäste in Deutschland, Griechenland und auf den Kanaren unterwegs.

Und wenn die ersehnte Erholung kommt? „Dann muss das Geschäft schnell wieder hochgefahren werden“, sagt Kirstges. „Der Verlust von qualifizierten Mitarbeitern – sei es, weil sie entlassen wurden oder weil sie sich einen neuen Job gesucht haben – könnte die Branche dann ein Stück weit belasten.“/mar/DP/zb

— Von Friederike Marx und Jan Petermann, dpa —

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