Delta-Ausbreitung schürt Sorgen um den Reisesommer
- von Ilona Wissenbach
Frankfurt/Berlin (Reuters) - Mit der Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Virusvariante wächst in der Reisebranche und bei Verbrauchern die Unsicherheit über die Aussichten für Urlaub im Ausland.
Sollten wichtige Reiseländer wie Spanien, Griechenland oder die Türkei wie Portugal von der Bundesregierung als Virusvariantengebiete mit 14-tägiger Quarantänepflicht nach der Rückkehr eingestuft werden, wäre das eine Katastrophe, sagte Michael Buller, Sprecher des Aktionsbündnisses Tourismusvielfalt (ATV). "Die Einstufung Portugals als Virusmutationsgebiet wird nicht ohne Folgen auf die Buchungsentwicklung bleiben", erklärte der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig, beim Spitzentreffen der Branche mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am Dienstag. Die Krise aufgrund der Pandemie sei für die Reisewirtschaft bei weitem noch nicht gebannt, die Politik müsse deshalb mit ihren Regeln verlässlich bleiben. Der DRV forderte, die Einreiseregeln nicht zu verschärfen und staatliche Finanzhilfen um drei Monate bis Ende des Jahres zu verlängern.
Der Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) bleibt dagegen "zuversichtlich, dass der Sommerreiseverkehr trotz Entwicklungen in einzelnen Ländern nicht gefährdet ist." Denn die geltenden Einreiseregeln sorgten für sicheres Reisen. Sie wurden am Montag von Bund und Ländern nicht geändert, obwohl einige Bundesländer eine Verschärfung gefordert hatten. Der Airline-Verband geht nicht davon aus, dass es nach Portugal noch in anderen europäischen Ländern zu Delta-Ausbrüchen kommt. "Nach unseren Informationen achten die Reisezielländer sehr auf die Einhaltung von Hygiene- und Gesundheitsauflagen und haben alle gemeinsam das Interesse, das Infektionsgeschehen gering zu halten", erklärte der BDL. Denn für Südeuropa ist der Tourismus lebenswichtig. "Die Erholung der Wirtschaft in vielen südeuropäischen Ländern hängt davon ab, dass die Reisesaison 2021 gerettet wird", konstatierte Tomas Dvorak von Oxford Economics. Im Juni hätten die Übernachtungszahlen in Europa knapp die Hälfte des Vorkrisenniveaus erreicht, bis August könnten sie auf 75 bis 85 Prozent steigen.
Die EU-Kommission monierte in Brüssel, die Beschränkung gegenüber Portugal stehe "scheinbar" nicht völlig in Einlang mit dem auf EU-Ebene vereinbarten Vorgehen. "Natürlich müssen wir die aktuelle Infektionslange auch weiter im Blick behalten und mit Blick auf die Delta-Variante umsichtig agieren", erklärte Altmaier. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), der Dachverband für Inlands- und Auslandstourismus, sorgt sich über die Lage im Herbst. "Wir fordern ein Offenhalten der touristischen Betriebe im Falle einer vierten Welle, wie sie von Experten für den Herbst/Winter vorhergesagt wird", sagte BTW-Generalsekretär Michael Rabe. Die Politik müsse dringend auf Basis der Erkenntnisse aus Modellregionen mit erfolgreichen Teststrategien einen Plan erarbeiten, um einen überstürzten weiteren Lockdown zu verhindern.
QUARANTÄNE GIFT FÜRS REISEGESCHÄFT
Die Reisebranche erholt sich erst, seit die Bundesregierung im Mai die Corona-Reiseregeln gelockert hat. Trotzdem liege der Umsatz im Sommer nach Angaben des DRV erst bei 25 Prozent des Vorkrisenniveaus. Bei Corona-Inzidenzen unter 200 gilt seit Mitte Mai keine Quarantänepflicht mehr, die viele Urlauber vom Buchen abhielt. Die Branche setzt darauf, dass im Sommer immer mehr Menschen geimpft sind und mit dem digitalen Impfzertifikat ungehindert reisen können. Doch nach Einreise aus Virusvariantengebieten müssen auch Geimpfte zwei Wochen in Quarantäne. Diese Vorschrift verteidigte Kanzleramtsminister Helge Braun. "Wenn eine neue Variante auftritt, braucht es relativ lange, um sicherzugehen, wirkt der Impfstoff", sagte er im ZDF. Außerdem sei offen, ob Geimpfte die Krankheit weiter übertragen können.
Bei diesen strengen Sicherheitsvorschriften solle es bleiben, erklärte der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß. Womöglich müssten die geltenden Regeln nur strenger kontrolliert werden. "Die aktuelle Diskussion um erneute Änderungen verunsichert die Menschen unnötig und kostet Vertrauen", ergänzte Bareiß.
Im vergangenen Jahr hatten nach Daten des Robert-Koch-Instituts vor allem Familienbesuche in europäischen Ländern die Corona-Ansteckungen befeuert. In diesem Jahr könnte es die Fußball-Europameisterschaft sein, befürchtet die Reisebranche. Das treibt auch die Bundesregierung sowie Länderchefinnen und -chefs um. Angesichts "knallvoller" Stadien in Kopenhagen, Budapest und London sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos."